Premier League Offside - Folge 27:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 14.03.2022

Veröffentlicht in Premier League Offside

„Aus“ für Roman Abramowitsch – Polit-Krimi um den FC Chelsea

Der Krieg in der Ukraine zeigt Wirkung. Der amtierende Champions-League-Sieger FC Chelsea erlebt nach den Sanktionen gegen seinen russischen Klub-Eigentümer Roman Abramowitsch (55) einen nie dagewesenen Polit- und Wirtschaftskrimi.

Die Fußballreise zum Champions-League-Spiel bei OSC Lille musste der FC Chelsea offenbar mit dem Zug machen. 20.000 Euro Reisebudget standen dem stolzen Champions-League-Sieger aus dem Londoner Südwesten für die Reise nach Nordfrankreich nur noch zur Verfügung.

Aus der Rubrik „Sätze, die wir nie für möglich gehalten hätten.“ Dennoch: Das ist keine schlecht geschriebene Satire, sondern die Realität. Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Londoner Erfolgsstory mit Roman Abramowitsch (55) und seinem FC Chelsea beendet.

Moment mal, Erfolgsstory? Ja! Eine Fußballreise nach London war nämlich seit 2003 nie komplett ohne einen Besuch beim FC Chelsea an der Stamford Bridge. Hier, im vornehmen Südwesten der britischen Metropole, residierte an der Fulham Road fast 20 Jahre lang das vielleicht ehrgeizigste, aber eben auch das erfolgreichste Fußball-Projekt in England unter der Führung eines ausländischen Investors.

Roman Arkadjewitsch Abramowitsch, geboren am 24. August 1966 in Saratow an der Wolga, gehörte seit mehr als zwei Dekaden zu den reichsten Männern Russlands. Ein Neureicher der Putin-Ära. Wirtschaftsfachblätter wie das Forbes Magazine beziffern sein Privatvermögen aktuell auf 12,3 Milliarden Dollar. Der stille Russe mag ausgewaschene Jeans, Turnschuhe und Blousons und ich erinnere mich gut, als er – umringt von acht Bodyguards in Maßanzügen mit Knopf im Ohr und in Maßanzügen – nach dem Community-Shield-Finale im August 2009 gegen Manchester United durch die Katakomben des Londoner Wembley-Stadions geschleust wurde. In diesem kurzen Moment zwinkerte mir der abgeschirmte Milliardär von jenseits der Bande zu, in diesem Augenblick huschte ein müdes Lächeln über sein stets maskenhaft wirkendes Gesicht.

Quo Vadis Roman Abramowitsch?

Quo Vadis? Noch-Eigentümer des Chelsea Football Club - Roman Abramowitsch. Foto: Shutterstock

Abramowitsch 2003: Bei Ankunft – Stars!

„Mister Chelski“ hat mit seiner Ankunft in London 2003 eine neue Ära eingeleitet. David Dein, Vorstandsvorsitzender des FC Arsenal, ahnte nichts Gutes, als Roman Abramowitsch am 1. Juli 2003 nach London kam. Mit einer Unterschrift und einem Handschlag veränderte Abramowitsch an diesem Tag den englischen Fußball nachhaltig. Der russische Geschäftsmann kaufte Ken Bates für umgerechnet 168 Millionen Euro den Premier-League-Klub FC Chelsea ab. Ganz nebenbei investierte Abramowitsch bei Ankunft noch weitere 158 Millionen Euro in neues Spieler-Personal. David Dein und der Rest des Londoner Fußball-Adels sahen sich urplötzlich übermächtiger Konkurrenz aus der unmittelbaren Nachbarschaft gegenüber: „Abramowitsch hat eine Kanone in unserem Vorgarten geparkt und feuert nun mit 50-Pfund-Noten auf uns“. Bumm!

Abramowitsch erwarb die Aktienmehrheit des Vereins, war nun faktisch der neue Besitzer und Chelsea war innerhalb von Sekunden schuldenfrei. Der Rubel rollte. Von den zehn teuersten Transfers in Fußball-Europa vor der Saison 2003/2004 wurden fünf vom FC Chelsea getätigt. Der Ire Damien Duff wechselte von den Blackburn Rovers für 24,5 Millionen Euro an die Stamford Bridge, der Argentinier Hernan Crespo kam für 24,2 Mio. Euro von Inter Mailand herüber, der Franzose Claude Makéléle von Real Madrid ließ sich für 24 Mio. Euro überreden, die Liga zu wechseln. Adrian Mutu aus Rumänien tauschte das Trikot von Juventus Turin für 22,75 Mio. Euro mit dem des FC Chelsea und der argentinische Mittelfeldspieler Juan Sebastian Veron von Manchester United kostete 21,6 Mio. Euro. Nur Real Madrid, das für David Beckham 35 Mio. Euro an Manchester United überwies, und der FC Barcelona, der sich für 30 Mio. Euro die Dienste des in Paris spielenden Brasilianers Ronaldinho Gaúcho, genannt Ronaldinho (Weltkarriere unter bürgerlichem Namen nicht möglich) sicherte, zahlten damals noch mehr.

Claude Makélélé im Dress des FC Chelsea im Jahr 2008

Claude Makélélé im Dress des FC Chelsea im Jahr 2008. Foto: Shutterstock

Mit dem portugiesische Trainer José Mourinho vom Champions-League-Überraschungssieger FC Porto stellte sich im Sommer 2004 vor Monaco auf der Yacht des Roman Abramowitsch der Trainer vor, der diese Erfolgsära prägen sollte wie kein anderer Coach. Seine Philosophie, wonach jeder Spieler sein Ego bedingungslos der Mannschaft unterzuordnen hat, gefiel Roman Abramowitsch. Mourinho präsentierte dem wortkargen und schlecht Englisch sprechenden Russen einen auf Langfristigkeit ausgelegten Plan. Die Tage des Italieners Claudio Ranieri, auch bekannt als „The Nearly Man“ und 2016 Sensations-Meister mit Leicester City, waren gezählt.

The Chosen One - Jose Mourinho als Chelsea Trainer

"The Chosen One" - Jose Mourinho als Chelsea Trainer. Foto: Shutterstock

Die Chelsea-Fans liebten Roman Abramowitsch und den Erfolg, den er brachte

„Der ,FC Chelski´, wie die Zeitung The Sun den Klub taufte, war plötzlich das neue Spielzeug eines Superreichen“, erinnert sich der Marketingexperte Edward Freeman, der jahrelang für Manchester United und später für den ukrainischen Club Schachtjor Donezk tätig war, im SPIEGEL, „die Einkaufspolitik des Vereins wurde nicht von wirtschaftlichem Kalkül gelenkt, sondern von der Prestigesucht seines Finanziers.“

Der zahlenden Kundschaft im Stadion Stamford Bridge ist das bis heute egal. Bei den Chelsea-Spielen dröhnte anfangs das russische Volkslied „Kalinka“ durch die Lautsprecher – egal, ob Abramowitsch gerade anwesend war oder nicht. Dass er da war, wurde – ähnlich wie früher in München mit der berühmten Beckenbauer-Cam – durch den obligatorischen Kameraschwenk auf die drei Ränge umfassende East Stand belegt.

Ein Brief von Roman Abramowitsch

Die Fans des FC Chelsea feierten das „Roman Empire“, denn Abramowitsch hatte ihren Klub zur Weltmarke gemacht. Sie skandierten auch noch seinen Namen, als das Kesseltreiben gegen die russischen Oligarchen schon begonnen hatte.

21 nationale Trophäen hat Chelsea unter der Ägide des russischen Öl-Milliardärs Roman Abramowitsch gewonnen, darunter zwei Mal die Champions League (2012, 2021) und vier Mal die Meisterschaft in der englischen Premier League (zuletzt 2017). „Vor Kurzem“, schrieb die Wiener Zeitung Die Presse am 11. März 2022, „triumphierte man erstmals bei der Klub-WM. Umso größer war der Aufschrei, als Abramowitsch wenige Tage nach dem Einmarsch, also Ende Februar, bereits mit dem Vorhaben vorstellig wurde, Chelsea verkaufen zu wollen.“

Champions League Trophaee FC Chelsea

Unter Abramowitsch gewann Chelsea auch die Champions League

In diesem Moment war er weg, der stets etwas surreale Zauber, der über dem Klub aus dem Londoner Südwesten zu wehen schien. „Es hängt ein grauer Schleier über der Stamford Bridge“, konstatierte Die Presse, „denn der FC Chelsea, Traditionsverein der Premier League und Champions-League-Sieger, wird durch den Krieg in der Ukraine in Mitleidenschaft gezogen.“ Nein. In eine Abwärtsspirale.

Roman Abramowitsch zog in einem offenen Brief an die Chelsea-Fans den (vermeintlichen) Schlussstrich. „Ich möchte mich zu den Spekulationen der Medien in den letzten Tagen äußern“, schrieb der Russe am 1. März 2022, „ich habe mich dazu entschlossen, den Klub zu verkaufen, weil ich glaube, dass dies zum Wohle von Chelsea geschieht, ebenso seiner Fans, Angestellten, Sponsoren und Partner. (…) Sie sollten wissen, dass dies eine unglaublich schwierige Entscheidung für mich war, die mich schmerzt. (…) Ich werde nicht nach irgendwelchen Darlehen fragen, die zurückgezahlt werden müssen, in dieser Sache ging es mir nie ums Geld oder ums Business, sondern es war einzig und allein meine Fußball-Leidenschaft.“

Europe is funding the war not CFC

Die Chelsea Fans haben eine klare Meinung zum Krieg in der Ukraine - Graffiti ausserhalb der Stamford Bridge.

Das klingt im ersten Moment ehrlich, zumal Abramowitsch in seinem offenen Brief den Begriff „Krieg“ für den Konflikt in der Ukraine gebrauchte. Dieser steht bei Putins Staats-Medien auf dem Index. Dass es nur Fußball-Leidenschaft war, fällt dennoch schwer, zu glauben. Auch, wenn man die Bilder von Chelseas erstem, ganz großen Triumph, dem Gewinn der englischen Meisterschaft 2005 – nach 50 Jahren Abstinenz – sieht. Mit den hoch dotierten Chelsea-Stars um Frank Lampard und John Terry tanzte Roman Abramowitsch in der Kabine Kasatschok und grinste dabei wie ein Schuljunge, der den Großen gerade einen Streich gespielt hatte.

Abramowitschs kometenhafter Aufstieg zum reichsten Mann Russlands war nie transparent, nie einfach nach zu verfolgen. Abramowitsch stammte aus einer jüdischen Familie und wuchs als Vollwaise bei einem Onkel in Uchta in Sibirien und bei seiner Großmutter in Moskau auf. Bereits 1992, mit 26, stieg Abramowitsch ins Öl-Geschäft ein. Sein Startkapital, so munkelt man, sollen 5.000 Tonnen Heizöl gewesen sein, die er sich angeblich mit Hilfe gefälschter Dokumente angeeignet hat. Vollständig geklärt wurde das nie. Über die Handelsfirma RUNICOM zog er bald größere Öl-Deals mit Raffinerien über die Bühne, vor allem mit der größten russischen Raffinerie im sibirischen Omsk. Diese war später das Kernstück des von Abramowitsch kontrollierten Sibneft-Konzerns. Als Partner des bis dahin mächtigsten russischen Tycoons Boris Beresowski baute Abramowitsch in den Neunzigerjahren ein weit verzweigtes Firmengeflecht auf.

Im Jahr 2000 galt Abramowitsch längst als wichtigster Oligarch im System des Präsidenten Wladimir Putin und damit als Wegbereiter für den Machtwechsel in Moskau, weg von Boris Jelzin, hin zu Putin. Dominic Midgley und Chris Hutchins behaupten in ihrem Buch über ihn gar, Abramowitsch habe sämtliche Mitglieder der ersten Regierung unter Putin „einer persönlichen Prüfung unterzogen, bevor diese für ein Amt in Frage kamen.“

„Kassenwart des Kreml“ liebt London

Abramowitsch und Chelsea – das war seit 2003 eine Mischung aus Fußball-Kino, russischer Seele und James Bond. Der Tod des ehemaligen russischen Agenten Alexander Litwinenko, der im November 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde, nachdem er zuvor in einem japanischen Restaurant weilte, schreckte auch den stillen Abramowitsch auf. Sämtliche externen Cateringdienste erhielten auf seine Anordnung hin die sofortige Kündigung. Sushi für die Vorstandssitzungen bei Chelsea gab es nur noch von Abramowitschs eigenem Koch. Auch die Sandwiches, die in Abramowitschs exklusiver VIP-Lounge an der Stamford Bridge gereicht wurden, kamen seither nur noch vom Chefkoch seines Vertrauens. Nachdem russische Geheimdienstleute hinter dem Mord an Litwinenko vermutet wurden, sah sich Abramowitsch in Gefahr.

Dabei ist es selbst für Profis schwer, ihm auf der Spur zu bleiben. Sein letztes Interview gab er 2003 und noch vor dem Chelsea-Einstieg der Sunday Times. Wenn er in London ist, bewegt er sich lautlos und katzenhaft. Fast so, als sei er hier zuhause. Peter Floyd vom Café Chocolate Society sagte mir 2006, er habe ihn auf der Elizabeth Street und unweit von Abramowitschs Luxus-Apartment, mit seiner Frau Irina gesehen. Aber schriftlich konnte er mir das auch nicht geben...

Abramowitschs Familien-Residenz befand sich seither in Sussex, gut eine Autostunde von London entfernt. Auf dem 19,5 Mio. Euro teuren Schloss haben ihn nur wenige Menschen je gesehen. Trotz seiner blendenden Kontakte zur Regierung Putin lebte der „Kassenwart des Kreml“ lieber in Sussex und in London als in Moskau. Abramowitschs Begründung ist simpel: „Weil sich in England jeder Mensch wohlfühlen kann.“

Sanktionen gegen Chelsea: Boris Johnson greift durch

Seit dem Kriegsbeginn 2022 sieht das anders aus. Die britische Regierung hat bei ihren Sanktionen gegen russische Oligarchen auch Abramowitsch nicht verschont. Das Privatvermögen des Chelsea-Eigentümers wurde eingefroren. Am 11. März 2022 sperrte man auch noch die Konten des Londoner Fußballvereins. Chelsea durfte bis auf weiteres weder Spieler, noch Tickets noch Trikots verkaufen. Der Fanshop an der Stamford Bridge, Sehnsuchtsort für Fans bei einer Fußballreise nach London, wurde geschlossen. Nur Dauerkarteninhaber haben noch Zutritt bei den Heimspielen.

Chelsea Megastore

Die Türen des Chelsea Megastore an der Stamford Bridge Stadion bleiben für die Fans momentan geschlossen. Foto: Shutterstock

„Es darf keine sicheren Hände geben für die, die Putins bösartigen Angriff in der Ukraine unterstützt haben“, ächtete Großbritanniens Premierminister Boris Johnson Abramowitsch. Dabei hatte der Chelsea-Besitzer bei seinen Verkaufsplänen angekündigt, den Erlös aus dem Verkauf – im Raum standen 2,9 Milliarden Euro – den ukrainischen Kriegsopfern zu spenden. Inwieweit dies angesichts seiner lange vermuteten und kaum weg zu diskutierenden Nähe zu Putin glaubwürdig ist, wissen wir nicht. Ebenso wird es selbst den mit Feuereifer und meist investigativ recherchierenden britischen Medien schwerlich gelingen, die wirkliche Verbindung zwischen Putin und Abramowitsch zu enthüllen.

Fest stand aber: Der Verkauf an den Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss (86) oder den britischen Immobilien-Tycoon Nick Candy lag damit auf Eis. Chelsea, immerhin der amtierende Champions-League-Sieger und Klub-Weltmeister, darf nur dank einer Sonderlizenz weiterkicken, damit „fußballbezogene Aktivitäten fortgesetzt werden“ konnten, wie es bei der Verhängung der Sanktionen am 10. März 2022 durch die britische Regierung hieß. Wie das nach der Konten-Sperrung gehen soll, sagte man dort nicht.
Chelsea muss den Zug nehmen.

 

Carsten GermannDer Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.