Premier League Offside – Folge 2:

c4e3fac5 5a9b 4520 a142 84615418e608

Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 25.12.2019

Veröffentlicht in Premier League Offside

„Boxing Day“: Englands einmaliger Fußball-Feiertag!

„Boxing Day“: Englands einmaliger Fußball-Feiertag!

Die Bundesliga befindet sich im Winterschlaf bis Mitte Januar. Die weltmeisterliche Ligue 1 in Frankreich macht erst am 11. Januar 2020 weiter und auch Spaniens „La Liga“ kommt erst am 3. Januar zurück. Nur die englische Premier League rockt auch über Weihnachten das Haus.

Den Tisch für den 26. Dezember 2019 im bekannten Pub „The Red Lion“ haben wir in weiser Voraussicht schon vor Wochen reservieren lassen.
Denn am 2. Weihnachtsfeiertag ist Schluss mit lustig. Dann ist „Boxing Day“ oder anders: ,,Wild Christmas“ in der Premier League! Kein anderer Spieltag in der 38 Runden umfassenden englischen Fußball-Eliteliga hat eine derartige Magie wie die Spiele am 2. Weihnachtsfeiertag. Selbst der „Final Day“, der nervenaufreibende 38. Spieltag, tut sich da mitunter schwer, mitzuhalten.

„Boxing Day“: Weihnachtsgeld ausgeben oder direkt ins Stadion?

Mehr Tradition geht nicht. Der Spieltag am ,,Boxring Day“ ist fast so alt wie der englische Fußball selbst. 1860 wurde auf der Insel erstmals an Weihnachten gekickt. „Wenn alle die Weihnachtsfeierlichkeiten ausgiebig genossen haben, wird es Zeit für Spitzenfußball und Top-Unterhaltung“, erklärt mir der Fußball-Autor Damien Coney die Faszination am Weihnachts-Kick, „während die meisten Leute das Weihnachtsgeld ausgeben, zieht es die Fußballfans am Feiertag schon deshalb ins Stadion, um dem ganzen Rummel zu entgehen. Sind die Namen gebenden Christmas Boxes, die Geschenkkartons der Arbeitgeber für ihre Bediensteten, geöffnet, ist in Sachen fußballerischer Überraschung so gut wie alles drin. Irgendwann hat man dann auch genug Weihnachtsbraten, Dessert und Rotwein genascht und es ist Zeit, um runter vom Sofa zu kommen und ins Stadion oder ins Pub zu pilgern.

Der legendäre Fußball-Weihnachtsfrieden von 1914…

Bis in die fünfziger Jahre wurde sogar am ersten Weihnachtstag (Christmas Day) gespielt. Das legendärste Weihnachtsspiel stieg jedoch am 25. Dezember 1914 in Frankreich. Während des Ersten Weltkrieges schlossen britische und deutsche Soldaten zu Weihnachten ihren eigenen Waffenstillstand und spielten im Niemandsland Fußball – mit einem Einsatz von zwei Fässern Bier und Pudding. Ein unbeschwertes Spiel, am Ende gewannen – frei nach Gary Lineker – die Deutschen.

Zurück zum „Boxing Day“. Zu den vielen Kuriositäten in seiner langen Historie gehörte es bis 1925, dass der Traditionsklub aus dem Londoner Norden vom FC Arsenal an diesem Tag überhaupt keine Heimspiele austragen durfte. Das Gelände mit dem altehrwürdigen, inzwischen in Luxus-Wohnungen umgewandelten Stadion von Highbury, gehörte der Kirche. Die erlaubte laut Pachtvertrag keine Spiele an Feiertagen. Erst 1927 war es soweit: Arsenal durfte an Weihnachten vor eigenem Publikum ran – und gewann 3:0 gegen Notts County. Halleluja!

Leyton Orient besoffen zum Spiel

Das „Vorglühen“ in Stadion nahen Pubs gehört am „Boxing Day“ für die Fans zwingend dazu. Tipp: Lassen Sie sich bloß von der BILD-Zeitung nicht einreden, dass das Bier lauwarm und die Stimmung gestelzt wäre. Stimmt nämlich nicht. Egal, ob Sie zum „Boxing Day“ ins Stadion oder ins Pub gehen, hier finden Sie immer schnell Anschluss und fast jeder Fußballfan kann in England eine Anekdote über den europaweit einmaligen Fußball-Feiertag erzählen.

Im Jahr 1931 zechte auch das Team von Leyton Orient vor dem Spiel gegen Bournemouth ausgiebig. Der Coach hatte seiner Truppe ein Fass Bier spendiert, welches noch vor dem Spiel in der Kabine verkostet wurde. Leyton verlor mit 1:2…Eine Begegnung der unheimlichen Art hatte Chelseas Torhüter Sam Bartram. Der 1981 verstorbene Keeper begegnete im Nebel beim Spiel gegen Charlton an der Stamford Bridge im Strafraum keinem Gästespieler, sondern einem Polizisten. Der Beamte wies den verdutzten Chelsea-Schlussmann höflichst darauf hin, dass das Spiel 15 Minuten zuvor abgebrochen wurde…
Den torreichsten Boxing Day erlebte England 1963. In 10 Partien fielen unglaubliche 66 Tore. Der Londoner Klub FC Fulham deklassierte Ipswich Town dabei mit 10:1. Graham Leggart erzielte in nur 3 Minuten einen Hattrick.

Winterpause? Keine Chance!

Sportlich markiert der ,,Boxing Day" oft einen Scheideweg. Der frühere Arsenal-Spieler Lee Dixon sagt: „Die Weihnachtszeit ist durch die hohe Belastung tückisch für die Stars.“ Das gilt besonders für die Titelkandidaten. Der FC Liverpool hat mit dem Finale gegen Flamengo Rio de Janeiro (1:0 n. V.) bei der Klub-WM in Katar bereits sein 30. Pflichtspiel in dieser Saison absolviert. Immer wieder gab es aufgrund des Terminstresses rund um den Jahreswechsel Überlegungen, eine Winterpause in der Premier League einzuführen und den „Boxing Day“ damit abzuschaffen. No way, wie Damien Cronley glaubt. „Die Fans würden diese Änderung nie akzeptieren“, sagt er, weil es Teil der englischen Fußballkultur ist, an diesem Tag ins Stadion zu gehen oder die Spiele im Fernsehen zu verfolgen.“
In diesem Jahr hält der „Boxing Day“ einige sehenswerte Spiele bereit. Den Anfang machen Tottenham Hotspur und „The Special One“ José Mourino gegen Brighton & Hove Albion. Der immer um den Ausgleich und um Harmonie bemühte Portugiese hat sicher auch an Weihnachten einen besinnlichen Spruch parat…
Um 16 Uhr gibt es für den FC Everton die Heim-Premiere unter dem neuen Trainer Carlo Ancelotti gegen den FC Burnley. Manchester United gegen Newcastle United – ein Spiel, das wie für den „Boxing Day“ gemalt zu sein scheint. Zum dritten Mal seit 2012 steigt diese Partie am 2. Weihnachtstag. 2012 und 2014 setzten sich die „Red Devils“ mit 4:3 und 3:1 durch.

13 Punkte Vorsprung als Weihnachtsgeschenk für Klopp und den FC Liverpool?

Und dann hält dieser eigentümliche Tag noch Spiel bereit, das mit „Mehr Spitzenspiel geht nicht“, mit „Wer will es mehr?“ oder sonstigen Marketing-Sprüchen nur unzureichend beschrieben wäre. Das überlassen wir den geschätzten Kollegen von Sky… Am 26. Dezember empfängt der Tabellenzweite Leicester City den noch ungeschlagenen Spitzenreiter FC Liverpool mit seinem deutschen Trainer Jürgen Klopp (52). Die „Reds“ haben im King Power Stadium die Riesen-Chance, sich und ihre globale Fangemeinde das schönste Weihnachtsgeschenk zu machen: Ein Sieg und dann wäre der Traum vom ersten englischen Meistertitel nach 30 Jahren bei dann 13 Zählern Vorsprung höchst lebendig…
Hätte auch für mich nur Vorteile. Erstens hätte sich dann die Reservierung im „Red Lion“ gelohnt und zweitens könnte ich im Sommer endlich mal den „Liverpool League Champions 1990“-Schal, den ich mir im September `90 am Londoner Trafalgar Square gekauft habe, gegen einen aktuellen austauschen…

Premier League Offside meldet sich bei die-fussballreise.de im Januar 2020 zurück. Ihnen, liebe Leser, frohe Weihnachten und ein glückliches und gesundes neues Fußball-Reise-Jahr 2020.

Carsten Germann

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2018 als leitender Redakteur bei Ligalive.net. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.

Hinterlasse dein Kommentar