Premier League Folge 26:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 03.03.2022

Veröffentlicht in Premier League Offside

Größter Brentford Spieler aller Zeiten - Das Comeback des Christian Eriksen

Das ist die schönste Fußball-Nachricht in diesen tristen (Kriegs)-Tagen im Frühjahr 2022. Christian Eriksen (30) kehrte am 26. Februar nach seinem Zusammenbruch auf dem Rasen 259 Tage zuvor bei der EURO 2020 nun beim FC Brentford in den Profifußball zurück.

51 Minuten und 12 Sekunden waren im kleinen Brentford Community Stadium gespielt. Vor einem Abstoß für den FC Brentford brandete Applaus im Stadion auf, der zu einem Begeisterungssturm wurde. An der Seitenlinie bereitete sich Christian Eriksen auf seinen Einsatz vor – und die Fußball-Welt hielt für einen Moment inne. Brentfords dänischer Trainer Thomas Frank (48) brachte ihn für seinen Landsmann Mathias Jensen in die Partie.

Christian Eriksen wird beim Spiel Brentford FC vs Newcastle eingewechselt

London, 26. Febraur 2022. Emotionaler Moment. Christian Eriksen wird in der zweiten Halbzeit beim Spiel Brentford FC vs Newcastle United eingewechselt. Foto: UK Sports Pics Ltd/Alamy Live Nachrichten

Keinen unter den 17.000 Zuschauern hielt es auf den Sitzen, selbst die mitgereisten Fans von Newcastle United, deren Team seit der 44. Minute mit 2:0 führte und diese Partie auch gewann, erhoben sich. Fast eine Minute wurde applaudiert, ein Gänsehautmoment.

Auf der Haupttribüne musste Eriksens Frau Sabrina, die am 12. Juni 2021 in Angst um ihren Mann in den Innenraum gelaufen und von Kapitän Simon Kjaer sowie Torhüter Kasper Schmeichel getröstet wurde – diese Bilder gingen um die Welt – ihre Emotionen hinter einer dunklen Sonnenbrille verbergen. Die Familie des dänischen Stars grüßte ihn mit einer Nationalflagge mit seinem Namenszug.

Eriksens Zusammenbruch ließ niemanden kalt

Nur als Hintergrund: Für die zu EM und WM erscheinenden Sonderhefte und Bücher von SPORT BILD betreue ich seit 2012 (auch) die dänische Nationalmannschaft. Ich habe mit „Danish Dynamite“ viel erlebt, das kann ich sagen. Da war u. a. das 2:2 im Playoff-Spiel zur EURO 2016 gegen Schweden und Zlatan Ibrahimovic nach den schrecklichen Terror-Anschlägen von Paris im November 2015. Auch eine Sternstunde mit dem 109-maligen dänischen Nationalspieler Christian Eriksen war dabei. Das 5:1 gegen Irland im WM-Playoff am 14. November 2017 mit 3 Eriksen-Treffern. Aber kein Ereignis hat mich in 24 Reporter-Jahren derart emotional getroffen wie der Herzstillstand von Christian Eriksen und seine Wiederbelebung auf dem Platz am 12. Juni 2021 im PARKEN von Kopenhagen im EM-Spiel gegen Finnland (0:1). Dass Eriksen noch einmal als Fußballprofi zu sehen sein würde, daran hätte in diesen hoch dramatischen Minuten sicher niemand gedacht.

Christian Eriksen im Dress der dänischen Nationalmannschaft

Christian Eriksen im Dress der dänischen Nationalmannschaft. Foto: Shutterstock

Ein Fußball-Märchen in der Premier League

Es ist Gott sei Dank anders gekommen. Damals war es – wie bei Millionen Fans weltweit – die pure Erleichterung. Sowas vergisst du nie. Deswegen war für mich klar: Das Eriksen-Comeback packe ich exklusiv für die-fussballreise.de an.

Ein Fabel-Comeback. Nach Eriksens Genesung zeichnete sich ab, dass er nicht mehr für Inter Mailand spielen würde. Der nach dem Herzstillstand (Eriksen: „Ich war mindestens 5 Minuten lang tot“) eingesetzte Defibrillator (ICD) ließ nach den italienischen Verbands-Regularien keine Einsätze in der Serie A oder anderen Wettbewerben mehr zu. Die Rückkehr nach England war fast die logische Folge.

Christian Eriksen mit Familie

Christian Eriksen feiert mit seiner Familie am 23. Mai 2021 die Meisterschaft von Inter Mailand im San Siro. Foto: Shutterstock

Der König der Weitschuss-Tore

Christian Eriksen hat die Premier League geprägt. Dazu ein paar Fakten (Quelle: Fussballdaten.de). Zehn Tore und 13 Vorlagen in allen Wettbewerben machten ihn am Ende seiner ersten Saison bei Tottenham Hotspur (2013/2014) zum „Fußballer des Jahres“ in Dänemark und im Verein zum „Spieler der Saison“. Von September 2013 bis zu seinem Abschied von den „Spurs“ am 28. Januar 2020 zu Inter Mailand erzielte Eriksen 23 Tore außerhalb des Strafraums. Diese Tor-Anzahl, sowie 62 Tor-Vorlagen und 571 herausgespielte Tor-Chancen waren Werte, die in diesem Zeitraum kein anderer Spieler in der Premier League erreichte.

Christian Eriksen unter Trainer Mourinho bei Tottenham Hotspur

Eiszeit: Eriksen und „The Special One“, José Mourinho (vorn) in Tottenham, das passte nicht. Foto: Shutterstock / ID: 1571680141

Was mir rund um das Eriksen-Comeback imponiert hat, war die Akribie, mit der es vorbereitet wurde. „Die Liga und der Verband mussten sich bei allen relevanten medizinischen Experten davon überzeugen, dass Eriksen zu 100 Prozent einsatzfähig ist“, schrieb England-Legende Keir Radnedge am 3. Februar 2022 unter der Überschrift „Herzenssache“ im Kicker-Sportmagazin, „Brentford wurde von Sanjay Sharma beraten, einem Herzexperten, medizinischer Direktor des London Marathon und des English Institute of Sport.“ Bis der Herz-Spezialist grünes Licht gab, dauerte es 2 Monate. In dieser Zeit hielt sich Eriksen bei Ajax Amsterdam fit, wo seine Profikarriere 2010 nach 2 Jahren in der Jugend-Akademie des niederländischen Rekordmeisters einst ins Rollen kam.

Für Brentford verzichtete Eriksen auch auf Gehalt

Dazu kommt, dass er mit Thomas Frank in Brentford einen Coach hat, der schon in der dänischen U17-Nationalmannschaft mit ihm zusammengearbeitet hat. „Wir haben eine unglaubliche Chance ergriffen, einen Weltklassespieler nach Brentford zu holen“, sagte Frank nach Eriksens Verpflichtung (Vertrag bis Saisonende) am 31. Januar 2022, „wir haben erhebliche Sorgfaltspflichten erfüllt, um sicherzustellen, dass Christian in der bestmöglichen Verfassung ist, um in den Wettkampffußball zurückzukehren.“
Das hat man eindrucksvoll getan – und Eriksen kam tatsächlich zurück. Früher als erwartet. Experten wie Radnedge hatten trotz guter Eindrücke im ersten Testspiel-Einsatz gegen Southend United (3:2, eine Tor-Vorlage) nicht vor Anfang März mit seinem Debüt beim Aufsteiger gerechnet. Laut Kicker hat Eriksen auch auf Geld verzichtet hat, als er in Brentford unterschrieb. Das ehrt ihn.

„Seine Geschichte ist krass“

Der ruhige Skandinavier hatte in Brentford vom ersten Tag an eine massive Wirkung. „Für Brentford“, sagt der deutsche „Bees“-Profi Vitaly Janelt in SPORT BILD (Ausgabe 7/2022), „ist Christian wahrscheinlich der größte Spieler aller Zeiten. Seine Geschichte ist krass, aber ich denke, dass sein Wechsel zu uns eine gute Entscheidung von ihm war.“
Emotional, kollegial, professionell und nie um Aufmerksamkeit heischend, stellte sich Eriksen in Brentford vor. „Ihr wisst alle, was mit mir passiert ist, ihr könnt mir alle Fragen stellen, wenn ihr wollt“, begrüßte er seine Mitspieler, „aber ich möchte die EM hinter mir lassen, ich bin gesund und möchte mich auf den Fußball konzentrieren.“ Auf die obligate Sangeseinlage als Neuzugang in der Kabine verzichtete er noch. Hätte auch nicht gepasst.

Auf dem Platz wirkte der dänische König der Premier League, als wäre er nie weg gewesen. „Ich sehe kein Risiko“, sagte er vor dem Spiel, „ich habe den ICD, also wenn etwas passieren würde, wäre ich sicher. Ich hatte die Zeit, diszipliniert zu sein, also bin ich jetzt vielleicht in einer besseren Verfassung als zuvor.“ Besser vielleicht nicht, aber sofort präsent. Eriksen übernahm gegen Newcastle direkt Verantwortung bei den Standards, sein Arbeitsprotokoll nach den ersten 43 Minuten im Dress der „Bees“ umfasste 35 Ballaktionen, 13 von 23 erfolgreich zugespielte Pässe (57 Prozent).

„Dass er am Ende die Niederlage gegen den Scheich-Klub nicht verhindern kann – geschenkt“, zog auch BILD am SONNTAG am 27. Februar 2022 die richtigen Schlüsse aus der Eriksen-Rückkehr, „an diesem Tag zählt nur, dass er gesund auf dem Platz steht.“

Ja. Es sind genau diese Geschichten, die eine Fußballreise nach England zum Erlebnis machen. Willkommen zurück, Christian Eriksen!

 

Carsten Germann

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.