Premier League Offside: Folge 32

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 26.06.2022

Veröffentlicht in Premier League Offside

Fußballreisen nach England: Die Musik der Premier League

Eine Fußballreise nach England und ein Stadion-Besuch auf der Insel leben von den Stars auf dem Rasen, aber auch von der eigenen Atmosphäre rund um die Premier-League-Arenen. Und von den „Football Anthems“, diesen so vielfältigen Hymnen auf den Fantribünen. Wie sie den Weg auf die Ränge fanden, dazu gibt es ebenso unterschiedliche wie liebenswerte Erklärungen. Tasten wir uns – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mal heran.

Es dürfte den am 18. Juni 2022 runde 80 Jahre alt gewordenen Ex-Beatle Sir James Paul McCartney freuen, dass seine Lieder auch mehr als 50 Jahre nach der Trennung der Beatles am 10. April 1970 noch den Weg nach Anfield finden.

I feel fine – Dank Jürgen Klopp…

Wie im Falle des von ihm und John Winston Ono Lennon komponierten und am 27. November 1964 veröffentlichten Titels I feel fine, den die Liverpool-Fans ihrem Trainer-Liebling Jürgen Norbert Klopp (55) widmen. „Jürgen said to me we’re gonna win the Premier League, you know he said so! I’m in love with him and I feel fine.“

Am Ende reichte es zwar nicht für die 20. englische Meisterschaft, aber für den FA Cup und den Ligapokal. I feel fine. Mir geht’s gut.

„Dank der Beatles wurde Liverpool zum Hotspot der britischen Musik in den 1960er-Jahren und der Merseybeat war der Sound, der die Nation bewegte“, heißt es dazu bei football-stadiums.co.uk.

Es passt daher, dass ein Song, der in der Zeit entstand, als die Beatles noch in ihrem Wohnzimmer, im legendären Cavern Club in Liverpool (10, Matthews Street, L2 6 RE) auftraten, alle anderen in den Schatten stellte. Die Liverpooler Band Gerry & the Pacemakers schaffte es nicht nur auf den „Spion’s Kop“, die bis heute als Epizentrum der Gefühle geltende Fan-Tribüne von Anfield. Ihre Interpretation von You‘ ll never walk alone wurde zur Fußball-Hymne schlechthin.

You‘ ll never walk alone – Am Original kommst du nicht vorbei!

Es macht schon allein deshalb keinen Sinn, sie nicht im Original zu hören. Auch nicht in der Version von Frank Sinatra aus dem Jahr 1945. Denn bei dem von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II komponierten Titel handelt es sich um ein Musical-Stück und selbstverständlich nicht um ein Fußball-Lied. Das Original zu spielen, das hat auch George Septhon, der seit 1971 amtierende Stadionsprecher des FC Liverpool („The Voice of Anfield“), immer so gehalten. Gut so.

Ich bin George und auch dem leider schon verstorbenen Gerry bei Fan-Treffen und Autoren-Lesungen in Liverpool begegnet und die Hymne live im Stadion von Anfield zu hören, ist ein ultimativer Gänsehaut-Moment. Ein Muss für jeden Fan und das Highlight einer Fußballreise nach Liverpool. Wenn ich an Gerry Marsden († 2021) und seinen Auftritt im März 2003 vor dem UEFA-Cup-Viertelfinale in Celtic Park mit Celtic Glasgow und dem FC Liverpool denke – beide Fan-Lager singen diese Hymne ebenso wie die Anhänger von Borussia Dortmund voller Überzeugung –, läuft es mir kalt den Rücken herunter.

März 2003 | Gerry Marsden singt You'll Never Walk Alone im Celtic Park vor dem Spiel Celtic FC vs Liverpool FC

Genug Gefühlsduselei! Die Original-Version von You‘ ll never walk alone wird immer in Anfield gespielt. Aber das „Making of“ wird immer anders erzählt. Ich habe in Liverpool einmal gehört, dass es in den 1960er-Jahren irgendwann vor dem Spiel eingespielt wurde. Als die Stadion-Lautsprecher ausfielen, sangen die Fans einfach a Capella weiter. Eine andere Version besagt, dass der Song, nachdem Gerry & the Pacemakers 1963 damit auf Platz eins der britischen Charts gestürmt waren, fast folgerichtig auf den Tribünen an der Anfield Road gesungen wurde. Das war noch Zeitgeist!

Der gute Gerry gab auch eine Single auch an Liverpools schottischen Coach Bill Shankly („Es gibt zwei gute Mannschaften in Liverpool: FC Liverpool und Liverpool Reserve“) weiter. Der fand den Titel gut und präsentierte ihn 1965 in der BBC Radio-Show Desert Island Discs und seit dem FA Cup-Finale 1965 gegen Leeds United (2:1) galt der Titel wohl als Glücksbringer. So kam wohl eines zum anderen.

Die Stadion-Katastrophe von Hillsborough am 15. April 1989 brachte Liverpools Musik-Szene in der Trauer zusammen. Gerry Marsden, Sir Paul McCartney, Holly Johnson, Stock Aitken Waterman und andere Künstler nahmen den Titel Ferry cross the Mersey (ebenfalls von Gerry & the Pacemakers, 1965) neu auf – zugunsten der Hinterbliebenen der inzwischen 97 Toten der Massenpanik im Stadion von Sheffield. Wer das Video kennt, weiß: No more words needed.

Liverpools neuer Barde

In Liverpool ist bis heute Musik drin. Dafür sorgt der 1994 in der Stadt an der Merseyside geborene Folk-Pop-Sänger Jamie Webster. 2018 veröffentlichte er mit Allez, Allez, Allez den Song, der beim FC Liverpool zum Ohrwurm wurde. Manchen populären Titel wie das durch die Dubliners und The Pogues bekannt gemachte Dirty Old Town textete Webster mit Liverpool-Bezug um. So wurde aus Dirty Old Town „He’s Virgil van Dijk“.

Jamie Webster iam 01.062019 auf dem Plaza Felipe II in Madrid vor dem Champions League Finale | BOSS Night | Virgil Van Dijk Song

Machen wir einen Spaziergang durch den Stanley Park von der roten auf die blaue Seite von Liverpool, so landen wir nach einem Fußmarsch von nur gut 1.000 Metern im Goodison Park des FC Everton. Dem mit neun Meisterschaften nicht ganz so erfolgreichen, aber nicht weniger traditionsbewussten Klub Liverpools, für den u. a. „Wild Wayne“ Rooney, Gary Lineker, Neville „The Binman“ Southall, Trevor Steven oder Paul Gascoigne spielten, fehlt es in Sachen Musik nicht an Lokalkolorit.

Seit den frühen 1960er-Jahren wird im Goodison Park das Theme from Z-Cars, einer TV-Serie, die in Liverpool spielt, über die Lautsprecher gejagt. Es ist ein Folk Song, basierend auf dem Titel Johnny Todd und Theme from Z-Cars erreichte 1962 Platz neun der englischen Charts. Laut der Everton Heritage Society wird der Titel bereits seit dem Start der Saison 1962/63 im Stadion gespielt.

Manchester City: Flucht ins 21. Jahrhundert…

„Stop the Clocks“ – Die wörtliche Umsetzung dieses Albumtitels der Brit Pop Band Oasis erlebte ich als Nachrichtenagentur-Redakteur gemeinsam mit Millionen von Fußballfans am 13. Mai 2012 live mit. Das 3:2 von Manchester City gegen die Queens Park Rangers im dramatischsten Premier-League-Finale aller Zeiten brachte die 44 Jahre lang tickende Uhr, die Citys Zeit ohne Meistertitel anzeigte, zum Stehen. Im anschließenden Jubeltaumel sollen die Radaubrüder Liam und Noel Gallagher, die sich 2009 in Paris im Streit getrennt hatten (Siehe dazu auch die TV-Doku: Liam Gallagher: As it was, Wie es wirklich war…), einen anderen ihrer Songs allzu wörtlich genommen haben. Sie fluteten ihre VIP-Loge im Etihad Stadium mit Champagner. A Champagne Supernova. Trotz der Nähe von Oasis zu den „Sky Blues“: Dem (inoffiziellen) Klub-Song konnten ihre Titel in der Fan-Gunst nie den Rang ablaufen.

Gemeint ist natürlich Blue Moon, das ebenfalls kein klassischer Fußball-Song ist. Es wurde zuvor schon von Elvis Presley, Frank Sinatra und Sir Rod Stewart aufgenommen. Seit 1989/90, in der Hochphase der Zeit, in der Songs aus den Charts von Fußballfans aufgegriffen wurden, gehört es zum Repertoire der Anhänger von Manchester City.

Manchester City Fans singen ihr "Blue Moon" vor dem Spiel gegen Tottenham Hotspur (2019)

Die Eingangszeilen Blue moon, you saw me standing alone, without a dream in my heart, without a love of my own, könnte man fast wie einen Manchester-City-Blues deuten. Denn 1990 waren die Erfolge der Moderne mit Star-Trainer Pep Guardiola, dem teuersten Kader der Top-5-Ligen in Europa und dem finanziellen Investment vom Persischen Golf bei Platz 14 in der First Division im in Nostalgie erstarrten Stadion an der Maine Road allenfalls fußballerische Science Fiction.

Schön, dass man auf der Flucht ins 21. Jahrhundert wenigstens den Song mitgenommen hat.

Seifenblasen im East End

Ebenfalls vom puren Fußball-Realismus kündet einer der bekanntesten Klubsongs aus London. I’m forever blowing bubbles, zelebriert vor den Spielen von West Ham United. Und das geht so: I'm forever blowing bubbles, pretty bubbles in the air, they fly so high, nearly reach the sky, then like my dreams they fade and die. Tja, Fußball-Träume können wie Seifenblasen platzen und sowohl im altehrwürdigen Stadion Boleyn Ground als auch im Olympiastadion von London ist die Performance nur echt mit gepusteten Seifenblasen. Rund um das Hinspiel im Europa-League-Halbfinale zwischen den „Hammers“ und Eintracht Frankfurt (1:2) bin ich mehrfach nach diesem Lied und diesem kindlich-verspielt wirkenden Ritual mit den Seifenblasen gefragt worden.

Die Antwort ist nicht einfach. Der Song stammt ursprünglich aus den USA und fand – anders als in Liverpool oder Manchester – wesentlich früher Eingang in die Folklore im Londoner East End. Schon 1920 brachte ihn der damalige Coach Charlie Paynter mit. Zum festen Bestandteil der Fan-Kultur beim Europapokalsieger von 1965 wurde „Bubbles“ wohl schon in den 1930er-Jahren, wie das Magazin Pensioner’s Bulletin 1983 berichtete. Eine von West Ham United für die Heimspiele engagierte Kapelle stimmte I‘ m forever blowing bubbles immer 20 Minuten vor Spielbeginn an – und die Fans sagen mit.

 West Ham United vs FC Sevilla Europa League | 60.000 Hammers singen Forever Blowing Bubbles

Die mit West Ham United nicht eben befreundeten Anhänger des FC Arsenal machten sich 2006 einen Spaß. Sie stimmten es an, weil die „Hammers“ ihrem Nord-Londoner Rivalen Tottenham Hotspur die Champions-League-Teilnahme weg schossen. Ebenso sollen die Spieler von West Ham United am denkwürdigen letzten Spieltag der Saison 1994/95 das Lied in der Kabine gesungen haben. Zuvor hatten sie mit einem 1:1 eine erneute Meisterschaft von Manchester United verhindert und mit ihrer Schützenhilfe dem Außenseiter Blackburn Rovers (1:2 in Liverpool) zum Titelgewinn verholfen. Das zeigt, wie tief der Song in der Vereinskultur verwurzelt ist.

Das gilt aber für alle Songs, die wir hier vorstellen – und für viele andere auch. Englands Fußball-Hymnen kommen nie aus dem La-La-Land. Sie stehen für Originalität und wurden – anders als in Deutschland – selten bis nie von regionalen Bands im Auftrag der Vereine komponiert und lustlos zusammengereimt. Sie waren populär und fanden deshalb den Weg auf die Tribünen.

Wenn Sie bei der nächsten Fußballreise nach England im Wohnhäuser-Karree rund um das Stadion an der Anfield Road, Goodison Park oder rund um das weitläufige Etihad Stadium in Manchester unterwegs sind, werden Sie diesen Zauber spüren. Und Sie wissen, was die da singen…

 

Carsten GermannDer Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.