Premier League Offside – Folge 8:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 30.03.2020

Veröffentlicht in Premier League Offside

„Geisterspiele“? No, thanks!“ – Lasst Liverpool diesen Titel!

Der Fußball im Klammergriff des Corona-Virus –und auf der Insel werden die ersten Fakten geschaffen.

Die Premier League pausiert bis mindestens 30. April. Seit dem 26. März steht bereits fest: Für die englischen Klubs in der siebten Liga und allen Spielklassen darunter ist die Saison mit sofortiger Wirkung beendet. Das haben der englische Fußballverband (FA) und das auf der Insel für die Wettbewerbe unterhalb der vierten Liga zuständige National League System (NLS) gemeinsam entschieden.
Will heißen: Es gibt in diesen Ligen in England Keine Absteiger und Aufsteiger. Dadurch, dass alle bisherigen Ergebnisse der so unheilgeschwängerten Spielzeit 2019/2020 in den betroffenen Wettbewerben annulliert werden, verbleiben alle Klubs in ihren bisherigen Spielklassen. Das hilft vor allem den Mannschaften, die bereits als sichere Absteiger galten, erhalten sie damit doch automatisch die Klasse. Auf der anderen Seite bleibt die bis zum Stopp erfolgreiche Saison zahlreicher Teams ungekrönt. Es gibt keinen Aufstieg.

Ein Saison-Abbruch auch in der Premier League?

Genau hier liegt nun der Knackpunkt. Ob man dieses Verfahren eins zu eins auch auf die höheren, respektive auf die vier englischen Profiligen anwendet, haben die Verantwortlichen offen gelassen. Nimmt man nun an, dass im Falle dieser Ligen genauso verfahren wird, hätte das für die englische Premier League erhebliche Konsequenzen.

Fußball-Idol Rio Ferdinand fordert Premier League Saison Abbruch

Fußball-Idol Rio Ferdinand fordert einen Saison-Abbruch in der englischen Premier League. 
Foto: Shutterstock.

Diese beiden legendären Klubs blieben zweitklassig

Was wäre, wenn… jetzt Schluss wäre? Blicken wir auf die Klubs, die in der Championship auf den Aufstiegsrängen stehen oder für die Premier-League-Playoffs in Frage kämen, wäre es vor allem für Leeds United und West Bromwich Albion bitter. Die „Whites“, immerhin letzter englischer Meister vor Einführung der Premier League 1992, und die „Baggies“ haben mit sieben bzw. sechs Zählern auf Rang eins und zwei einen komfortablen Vorsprung zum Playoff-Feld. Sie müssten ein weiteres Jahr in der Zweitklassigkeit verharren. Sie hätten demnach keine Chance mehr, am üppigsten Pay-TV-Vertrag des Fußballs – so er nach der Corona-Krise in diesem Volumen erhalten bleibt – zu partizipieren. Die Premier League ist mit einem auf drei Spielzeiten gezahlten TV-Geldsegen von fünf Milliarden Euro die lukrativste Liga der Welt. In dieses El Dorado des Fußballs will jeder einziehen. Größter Profiteur im englischen „Fußball-Unterhaus“ wäre der FC Barnsley, der zwar 1997/98 nur eine Saison in der Premier League zubrachte. Allerdings: Die „Tykes“ haben mit Jan Aage Fjörtoft, Heinz Müller, Viv Anderson und dem „Traumhüter“ Lars Leese eine hohe Dichte an Paradiesvögel vorzuweisen. Nicht schlecht! Andererseits liegt Barnsley bei nur 34 Punkten auch mit sieben Zählern Rückstand abgeschlagen auf dem 24. und letzten Platz der Championship. Der Letzte macht das Buch zu.

Liverpools Saison der Rekorde nichts wert?

Sportlich gesehen würde ein Saison-Abbruch aber den souveränsten englischen Tabellenführer aller Zeiten ins Mark treffen, den FC Liverpool. 25 Punkte Vorsprung – am 21. März hätten Jürgen Klopp und Co. bei optimalem Verlauf die früheste Meisterschaft der Premier-League-Historie feiern können – und eine Fülle von Rekorden würden zu einer traurigen Fußnote der Geschichte verkommen. Das darf nicht sein.
Nein, ich will nicht für eine frühzeitige und unvernünftige Lockerung des Fußball-Shutdown plädieren. Vor allem jetzt, wo Corona Großbritannien überrollt hat, wäre das der pure Wahnsinn. Für mich wäre ein Einfrieren der Saison mit Stand 13. März 2020 mit den Tabellenständen zu diesem Zeitpunkt als gleichzeitiger Endstand die fairste Lösung. Eine andere Option scheint, nimmt man die Annullierung mal aus, scheint aufgrund der in England verheerend wütenden Pandemie nicht wahrscheinlich.

Der traurigste Meister aller Zeiten

Eine Meisterfeier des FC Liverpool – nach 30 Jahren Titel-Abstinenz – im gähnend leeren Stadion in Anfield oder im Etihad Stadium in Manchester – das will ich nicht sehen, das will wohl niemand sehen, der den Fußball liebt. Und seien wir ehrlich: Bis zum Shutdown hat Liverpool auch diejenigen begeistert, die dem Klub von der Merseyside sonst die kalte Schulter zeigen.
„Fußball ist nur ein Spiel und das wichtigere Bild ist das, was sich derzeit in unserer Gesellschaft abspielt“, sagt Manchester United-Legende Rio Ferdinand, „deshalb denke ich, dass in naher Zukunft nicht mehr gespielt werden kann. Die Saison sollte deshalb annulliert werden.“ Big Rio sagt aber auch: „Viele Leute, vor allem Liverpool-Fans denken jetzt, ich sage das, weil ich nicht will, dass sie den Titel gewinnen. Aber wenn mein Team in der gleichen Situation wäre, würde ich eher an die Gesundheit der Menschen als an das eigene Spiel denken.“

„Saison könnte verloren sein“

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin hat am 28. März 2020 wenig Hoffnung verbreitet. „Wenn uns der Neustart nicht gelingt, könnte die Saison verloren sein“, sagt der slowenische Präsident des europäischen Fußball-Verbandes der italienischen Zeitung La Repubblica. Ceferin zeichnete dabei zwei Szenarien, die vor allem auf den Faktor Zeit setzen. Neustart Mitte Mai, Anfang oder Ende Juni oder dann – und diese Idee hätte Charme – „starten, wenn eigentlich die neue Saison beginnt.“ Neun noch ausstehende Spiele als Vorspiel für die neue Runde und Meisterfeier im Spätsommer? Warum eigentlich nicht! Unter der Voraussetzung, dass sich die Lage bis dahin entschärft hat, wäre das eine Entscheidung der Vernunft. Immer noch besser, als „Geisterspiele“ auszutragen, bizarres Theater zu spielen und weitere Infektionen und Menschenleben zu riskieren.
Wie es auch kommt: Es will irgendwie zu dem in der Premier League stets vom Pech begünstigten FC Liverpool passen, dass selbst die souveränste Leistung eines Titelanwärters nicht reichen wollte, um die erste Meisterschaft der 1992 novellierten englischen Fußball-Eliteliga zu gewinnen. Die Geschichte ist den „Reds“ zuvorgekommen.

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2018 als leitender Redakteur bei Ligalive.net. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.

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