Premier League Offside – Folge 21:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 29.10.2021

Veröffentlicht in Premier League Offside

Make Newcastle United great again – Investoren-Planspiele an der Tyneside

Fußballreisen England ohne Newcastle? Eigentlich undenkbar! Newcastle United, Traditionsklub aus Nordengland, kann dank neuem Investor von besseren Zeiten träumen. Die neuen Eigentümer aus Saudi-Arabien haben einiges vor. Moralische Bedenken haben weder sie noch die Fans…

Unkontrollierte Freude herrschte in Newcastle – davon konnte ich mich 2016 bei einer Reportage-Reise selbst überzeugen – in der jüngeren Vergangenheit nur beim „Tyne & Wear“-Derby gegen den AFC Sunderland. Dieses Lokalderby gab es in der Premier League eben zuletzt am 20. März 2016. Die Atmosphäre im St. James‘ Park war großartig – und auch die Schmähgesänge für den Gegner aus Sunderland hatten es in sich. „Fuck off, Adam Johnson, you went to jail for Nonsens“ – zur Melodie von C‘ mon feel the noise von Slade verhöhnten die Newcastle-Fans im unweit des Stadions gelegenen Pub The Strawberry den wegen einer Beziehung zu einer Minderjährigen ins Gefängnis gewanderten Gästespieler Adam Johnson.

Fast 15 Jahre lang kämpften Newcastles Fans gegen Mike Ashley

Gut, Sunderland spielt inzwischen in der drittklassigen Football League One. Ex-Nationalspieler Adam Johnson ist seit März 2019 wieder draußen – und über Niveau lässt sich bekanntlich nicht streiten. Einer, der in Newcastle ähnlich niedrige Popularitätswerte hatte wie Adam Johnson, ist Mike Ashley. Um ihn zu ärgern, wurde in Newcastle der Niveau-Limbo wieder eingeführt. Der Anfang Oktober 2021 abgelöste Klub-Besitzer wurde u. a. mit „You fat Cockney Bastard, get out ouf our club“ geschmäht. Die Übersetzung sparen wir uns.

Dass Newcastle United seit Anfang Oktober 2021 als zweiter Premier-League-Klub neben Manchester City finanziell vom Persischen Golf aus gesteuert wird, löste bei den Fans der „Magpies“ laut Kicker-Experte Keir Radnedge „unkontrollierte Freude“ aus. Fast so wie damals gegen Sunderland… Britisch-humorig posierten einige Newcastle-Fans in Scheich-Kostümen und mit einem Maklerschild „Sold“ vor der „Terrace Bar“ am Stadion – ein Muss für jede Fußballreise nach Newcastle –, unweit des Standbilds von Trainerlegende Sir Bobby Robson („Die ersten 90 Minuten sind die schwersten“).

Ein Deal ohne moralische Bedenken

Dass der neue Eigentümer Public-Investment Fund aus Saudi-Arabien kommt – im saudischen Königreich werden täglich Menschenrechte missachtet – stört die Anhänger des viermaligen englischen Meisters (zuletzt 1927) nicht die Bohne. Hauptsache: Ashley „is out“.

Die „Ära“ Mike Ashley ging in Newcastle mit einer Überraschung zu Ende. Foto: Sh

Die „Ära“ Mike Ashley ging in Newcastle mit einer Überraschung zu Ende. Foto: Shutterstock

„Man könnte auch sagen: Genau das wollten sie erreichen. Um jeden Preis, abseits der Moral“, kommentierte Radnedge am 11. Oktober 2021 im Kicker-Sportmagazin. Anders als bei dem Konsortium aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wirkt der P. I. F. in Newcastle um einiges dubioser. Dubioses aus Dubai. In diesem Fall aus Saudi-Arabien.
„Wir haben großes Vertrauen, dass unsere unglaubliche Fangemeinde es nicht zulassen wird, dass die Geschichte und Kultur unseres stolzen Klubs der Arbeiterklasse untergraben wird“, erklärte Lee Forster, Vorstandsmitglied im Newcastle United Supporters Trust bei der Übernahme. Wie sehr sich die Investoren daran halten, wird die Zukunft zeigen. Volkstümlichkeit wurde ihnen noch nicht nachgesagt.

Gesamtvorsitzender des P. I. F. ist nämlich der 36-jährige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Er soll für die Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi (Washington Post) in Istanbul 2018 verantwortlich sein. Aber schriftlich haben wir das auch nicht.

Laut der verhandelnden Amanda Staveley, ist der Staat Saudi-Arabien „nicht der kontrollierende Eigentümer.“ Das ist wirklich beruhigend. Satte 10 Prozent gehören Staveleys PCP Partners und weitere zehn Prozent den Milliardären David und Simon Reuben. Das Brüderpaar gehört zur zweitreichsten Familie Großbritanniens. Damit besitzen die Saudis „nur“ 80 Prozent der Anteile. Und es handelt sich ja nicht um einen Einstieg des saudischen Staats, sondern um einen privaten Investmentfonds, gerade noch mal gut gegangen… Das finanzielle Volumen des P. I. F. wird auf 300 Milliarden Euro geschätzt. Da könnte selbst Chelseas russischer Besitzer Roman Abramowitsch blass werden, wenn er es nicht schon wäre…

Noch reicher als die City-Scheichs

Auch die Besitzer von Manchester City und die katarischen Eigentümer von Paris St.-Germain können hier nicht mithalten. 360 Millionen Euro haben die Saudis an Ashley gezahlt. Der dürfte sich trotz aller Schmähgesänge kaputt gelacht haben. Der Sportbekleidungs-Händler (Sports Direct) hatte den Klub 2007 für 150 Mio. Euro erworben. Die vollmundig versprochenen Stars und Trophäen blieben aus. Dafür stieg der Verein unter Ashleys Regentschaft zwei Mal aus der Premier League ab. Ruhig war es seit 2007 rund um den St. James‘ Park nie – die Fans fuhren 2014 sogar mit einem gemieteten offenen Bus durch die Stadt – eigentlich ein Gefährt für Meister- und Pokalsiegerfeiern – um gegen Ashley zu demonstrieren. Bus-Tour für Erfolglose.

Newcastle gehörte nie zu den Big Guns der Premier League

Die Ziele der neuen Eigentümer aus Saudi-Arabien sind – anders als bei Ashley – klar formuliert. In den nächsten fünf bis zehn Jahren will Newcastle United – aktuell auf Rang 19 in der Premier League – englischer Meister werden. Ein Vorhaben, das in den Anfangsjahren der Premier-League-Ära trotz großem Staraufgebot nie gelang.

An die Premier-League-Saison 1995/96 dürfte sich kaum ein Newcastle-Anhänger gern erinnern. Bis zum 3. April 1996 stand die Mannschaft von England-Idol Kevin Keegan („Ich bin nicht enttäuscht, sondern einfach nur enttäuscht“), unter anderem mit Faustino Asprilla, Peter Beardsley, Les Ferdinand, David Ginola und Keith Gillespie (Autor von „Wie man nicht Fußball-Millionär wird“), an der Tabellenspitze. Doch dann verlor die „Toon Army“, wie der Klub bei den Fans auch genannt wird, eine echte Fußballschlacht an der Anfield Road. 3:4 beim FC Liverpool und seinen „Spice Boys“ Robbie Fowler und Steve McManaman. Nach diesem 33. Spieltag konnten Monsieur Le Ginola und Co. die Tabellenführung nicht mehr zurückerobern, der Meistertraum war geplatzt. Es wäre der erste Titel seit dem Gewinn des Messepokals 1969 gewesen.

Im St. James‘ Park von Newcastle United soll bald wieder die Post abgehen. Foto:

Im St. James‘ Park von Newcastle United soll bald wieder die Post abgehen. Foto: Shutterstock

Wirkt der „Nearly Man“ bald in Newcastle?

Auf Titel arbeiten sie nun in Newcastle hin. Wie SPORT BILD (Ausgabe 41 / 2021) berichtete, soll in diesem Jahr der Klassenerhalt geschafft werden und „ab 2025 soll Newcastle um die Champions League und um Titel mitspielen.“ Bitte weckt mich, wenn es soweit ist.

Dass Coach Steve Bruce abgelöst wird, gilt als sicher. Gehandelt werden auch deutsche Spieler und Trainer. Ralf Rangnick gilt laut dem Magazin als Manager-Kandidat. Die deutschen Nationalspieler Timo Werner und „Big Nik“, Niklas Süle, stehen auf der Spieler-Wunschliste. Dazu „gefallene Stars“ (SPORT BILD) wie Philippe Coutinho vom FC Barcelona und der auch von Lazio Rom umworbene Filip Kostic von Eintracht Frankfurt. Interessante Namen. Aktuell liegt der Kaderwert (Quelle: Transfermarkt.de) von Newcastle United bei 245 Millionen Euro. Kennern des Dorffußballs dürfte der für 44 Mio. Euro verpflichtete Brasilianer und Ex-Hoffenheimer Joelinton (25) ein Begriff sein. Wertvollster Spieler mit 30 Mio. Euro Marktwert ist der französische Außenstürmer Allan Saint Maximin (24), aber erinnern Sie mich da in einem Jahr mal dran!

Als Trainer wird einer gehandelt, der in Deutschland und Frankreich nur der „Nearly Man“ war: Lucien Favre, Beinahe-Meister mit Hertha BSC, OGC Nizza und dem BVB. Ob der zurückhaltende Monsieur den hohen Ansprüchen der neuen Newcastle-Macher genügen kann?

Ein offener Bus für eine Meistertour durch diese liebenswerte Fußballstadt wäre jedenfalls vorhanden…

 

Carsten Germann
Der Autor:
 Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2018 als leitender Redakteur bei Ligalive.net. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.