Premier League Offside: Folge 31

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 20.06.2022

Veröffentlicht in Premier League Offside

Nottingham Forest: Eine Legende kehrt zurück

23 Jahre hatten die Fans der „Tricky Trees“ auf diesen unvergleichlichen Moment warten müssen: Am 29. Mai 2022 sicherte sich Nottingham Forest gegen Huddersfield Town (1:0) im Play-off-Finale in Wembley die Rückkehr in die Premier League.

Nottingham Forest? Jetzt werden viele jüngere unter Ihnen sagen: „Das ist sooo Achtziger!“ Wenn man rein nach der Musikauswahl geht, die den Helden in den Minuten nach dem denkwürdigen 1:0 gegen Huddersfield entgegen dröhnte und die die 40.000 Fans im englischen Fußballtempel in pure Jubel-Ekstase brachte, muss man das sicher so sehen. Zumindest ein bisschen.

James Garner Notts Forest

James Garner mit Nottingham Forest im Playoff-Finale zur Premier League gegen Huddersfield Town am 29. Mai 2022 in Wembley. Foto: Alamy

Bis 29. Mai galt: „Nottingham ist sooo Achtziger!“

„The only way is up“, von der blondierten Londoner Sängerin Yasmin Evans, genannt Yazz (Weltkarriere unter bürgerlichem Namen nicht möglich), ein Kurvenhit bei Nottingham Forest in Wembley, stammt aus dem Jahr 1988 – und kletterte in Deutschland bis auf Rang drei der Verkaufscharts. „Freed from Desire“ von Gala, bei der EURO 2016 in den nordirischen Fan-Blöcken als „Will Grigg’s on Fire“ zum Tribünen-Hit geworden, ist eher „sooo Neunziger“ – aus dem Jahr 1996.

Da sah man Nottingham Forest zum letzten Mal im Europapokal. 2:7 hieß es in der Addition im UEFA-Cup-Viertelfinale gegen den FC Bayern München. Die Mannschaft um England-Idol Stuart Pearce und den Niederländer Bryan Roy hatte da natürlich längst nicht mehr das Format der großen Forest-Elf der goldenen Jahre 1977 bis 1980.
Wie auch? Unter Trainerlegende Brian Howard Clough setzte der Verein Meilensteine, die für jedes nachfolgende Team aus Nottingham eine schwer zu nehmen waren. Die Fußstapfen von Clough und den Seinen waren für Generationen von City-Mannschaften einfach zu groß.

Kein Wunder, las es sich das alles doch wie ein Fußballmärchen aus den East Midlands. 1977 stieg Forest nach fünf Jahren Zweitklassigkeit in die First Division, die Vorgänger-Liga der Premier League, auf. Elf Tore in 30 Spielen gelangen damals einem gewissen Tony Woodcock, später auch Publikumsliebling beim 1. FC Köln. Brian Clough († 2004 / „The Damned United“) und sein kongenialer Assistent Peter Taylor schafften es, die Mannschaft für die erste englische Liga optimal zu verstärken: Mit Instinkt und Cleverness.

Nottinghams Erfolgsstory begann auf Mallorca

Die Erfolgsstory von Nottingham Forest setzte sich mit dem Gewinn der englischen Meisterschaft 1978 fort. Und das, obwohl man sich bei der Aufstiegsfeier in Cala Millor bei Bier aus Pappbechern und Musik von Fleetwood Mac und Jethro Tull (also im Prinzip „Sooo Siebziger!“) noch fragte, „wie man überhaupt ein Jahr in der ersten Liga überstehen soll“, wie Mittelfeldspieler Martin O‘ Neill es später formulierte. Die neue Innenverteidigung mit Larry Lloyd und Kenny Burns war ein Erfolgsfaktor für die nächsten Jahre. Dazu kam die Verpflichtung des englischen Nationaltorhüters Peter Shilton und des schottischen Nationalspielers Archie Gemmill, den Clough für gerade mal 25.000 Pfund von seinem Ex-Klub Derby County holte.

Die Folge: Die Mannschaft von Brian Clough blieb vom 26. November 1977 bis 25. November 1978 saisonübergreifend in 42 Ligaspielen in Folge unbezwungen. Ein Rekord, den Forest bis zum August 2004 und den „Invincibles“ vom FC Arsenal (49 Spiele ungeschlagen) hielt. Neben der Vizemeisterschaft 1979 gelang Nottingham auch der Sprung ins Europapokalfinale der Landesmeister. In München bezwang man den ebenfalls als Außenseiter firmierenden Klub Malmö FF aus Schweden mit 1:0. Das gleiche Ergebnis sahen die Fans ein Jahr später in Madrid. Nottingham verteidigte in Bernabeú gegen den Hamburger SV und Weltstar Kevin Keegan den Meistercup.

Forest traf allerdings das Schicksal, das viele erfolgreiche Überraschungsmannschaften kennen. Der Kader wurde relativ schnell auseinandergekauft. O‘ Neill zog es zu Norwich City, Trevor Stevens, den Siegtor-Schützen von München 1979, für eine Million Pfund zu Manchester City, Shilton ging zum FC Southampton. Zudem verkrachte sich der unberechenbare Clough 1982 mit Peter Taylor, der vorgegeben hatte, sich aus dem Trainergeschäft zurückzuziehen, und dann doch zu Derby County ging. Das verzieh Clough seinem Co-Trainer nie, beide sollen bis zu Taylors frühem Tod 1990 nie wieder miteinander gesprochen haben.

Ohne Mastermind Taylor waren Clough und Forest nur noch die Hälfte wert. Nottingham rettete sich 1992 zwar ins Premier-League-Zeitalter, doch als 22. der neu geschaffenen englischen Eliteliga war schon nach einer Saison wieder Schluss. Bis zum letzten Abstieg 1998/99 spielte Nottingham Forest nur ein Mal (1994 bis 1997) mehr als zwei Spielzeiten in Folge im neuen englischen Fußball-Oberhaus.

Absturz bis in die 3. Liga

Wirklich vermisst hat man den Überflieger der 1980er-Jahre in der neuen Liga zwischen Brit Pop und Spice Boys nicht. Nottingham schien aus der Zeit gefallen zu sein, das 1:8 gegen den späteren Triple-Sieger Manchester United im Februar 1999 war ein tieferer Tiefpunkt. Mit 30 Punkten – nie holte Forest in seiner Historie weniger Zähler – und nur 7 Siegen ging es abwärts. 2005 kippte der Verein als 23. der Tabelle in der Championship in die drittklassige Football League One, wo er bis 2008 verblieb.

Mit dem Einstieg des griechischen Schiffs-Tycoon Evangelos Marinakis (54), der auch Besitzer von Olympiakos Piräus ist, wurde in Nottingham schließlich die Wende eingeleitet. Den in Tränen aufgelösten Griechen mit einem Talisman in der Hand auf der Ehrentribüne von Wembley zu sehen, das war sicherlich ein Bild, das von diesem denkwürdigen Premier-League-Comeback hängen bleibt.

Evangelos Marinakis Forest Eigentuemer

Mit ihm kam die Wende. Nottingham Forest Eigentümer Evangelos Marinakis. Foto: Shutterstock

Fast 200 Millionen Euro winken in der Premier League

Der große Grieche hat Nottingham Forest ins Land der Reichen geführt. Denn es war auch das Spiel um das große Geld. Laut den Fußball-Finanzexperten der Deloitte Sports Business Group lagen in Wembley für Huddersfield und Nottingham Minimum 200 Millionen Euro im Jackpot.

Wenn es der Mannschaft des walisischen Trainers Steve Cooper (42) gelingt, in der Premier League zu bleiben, können sich die Einnahmen des Klubs laut Deloitte auf bis zu 320 Mio. Euro erhöhen. Geschätzte 40 Millionen Euro Mehreinnahmen in drei Spielzeiten aus Werbe- und Spieltagerlösen machen es möglich.

Dafür sorgen auch die milliardenschweren Fernseh-Verträge der englischen Premier League. Die Liga hat ihren Fernseh-Rechtevertrag, der mit mehr als 5 Milliarden Euro (BT Sports, Sky Sports und Amazon Prime) dotiert ist, erst im Mai 2021 erneuert.

Sollte das Premier-League-Abenteuer für Nottingham Forest nach einer Saison zu Ende sein, greift ein „Fallschirm“ mit einer Zahlung von ca. 85 Millionen Euro.
Um dieses Szenario zu vermeiden, hat man in Nottingham den Deutsch-Griechen George Syrianos (32) engagiert. Der Fußball-Manager aus dem Rheinland wechselte 2021 vom VfB Stuttgart zu Nottingham Forest und übernahm den Klub auf Platz 17 der Championship.

Transfers mit Robin-Hood-Taktik

Ganz ehrlich: Wir haben bei Sportdigital, dem in Hamburg ansässigen Fußball-TV-Sender, der die Championship zeigt und auch das Playoff-Spiel gegen Huddersfield übertrug, oft an den Spieltagen live über Nottingham Forest diskutiert und uns die Köpfe heiß geredet, wie der gefallene Gigant des englischen Fußballs wieder auf die Beine kommen könnte.
Dass es noch einmal klappen würde, danach sah es in der Saison 2020/2021 mit Platz 17 unter Trainer Chris Hughton nicht aus…

Syrianos hat es mit Akribie und – wie einst Clough – mit cleveren Transfers geschafft. Er gab vor Saisonbeginn 2021/2022 nur 5,2 Mio. Euro für Transfers aus. Das nennt man wohl Robin-Hood-Mentalität im Zeitalter der Scheich-Klubs.

„Wir haben mit Dane Murphy und Kyriakos Dourekas tolle Leute im Klub“, sagt Syrianos der BILD am SONNTAG (Ausgabe vom 5. Juni 2022), „und mit Miltiades Marniakis, dem Sohn des Besitzers, jemanden, der trotz der Misserfolge der Vergangenheit an das Projekt geglaubt hat.“

Endlich: Fußballreise nach Nottingham

Und wohl auch die Fans, die am Old Market Square der Robin-Hood-Stadt und tags zuvor in Wembley für einen echten Ausnahmezustand sorgten. Sie sind eine Bereicherung für die Premier League. „Ich glaube, dass Nottingham aufgrund der Historie und der großen Fangemeinde mit Traditionsvereinen wie Stuttgart, Schalke, Dortmund oder dem 1. FC Köln vergleichbar ist“, meint Syrianos.

Auf jeden Fall. Der City Ground könnte nun ebenfalls ein Ziel für eine Fußballreise nach England werden. Pläne, das bereits 1898 eröffnete Stadion umzubauen, wurden seit 2019 schrittweise umgesetzt. Begonnen wurde mit dem Umbau der Peter Taylor Stand.

City Ground Notts Forest am River Trent

Fußballromantik am River Trent. Im City Ground von Nottingham Forest sind bald die Größen der Premier League wieder zu Gast. Foto: Shutterstock

4.750 Gästefans können auf der Hinter-Tor-Tribüne Bridgford Stand Platz nehmen. Diese ist eine architektonische Besonderheit, ist doch etwa ein Drittel des Bauwerks niedriger als die übrigen zwei Drittel der Tribüne.

Warum? Die Stadtverwaltung war der Meinung, dass die Häuser der angrenzenden Colwick Road durch diese Auflage noch genug Sonnenlicht bekommen. Willkommen im Brian-Clough-Land…

 

Carsten GermannDer Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.