Premier League Offside – Folge 16:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 30.05.2021

Veröffentlicht in Premier League Offside

„Verrückter Dirigent“? Pep Guardiola „der Unvollendete“ bei ManCity

Das Champions-League-Finale 2021 in Porto als englische Angelegenheit. Bei der Partie Manchester City gegen FC Chelsea bezahlten die mächtigen Investoren die Fußballreise nach Portugal.

Die Fernsehzuschauer bekamen die Honoratioren erst nach dem Schlusspfiff zu sehen. Khaldoon al Mubarak, Statthalter von Manchester Citys Eigentümer aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, musste mit saurer Miene zur Siegerehrung. Und zusehen, wie dem FC Chelsea der Pokal überreicht wurde. Aber keine Sorge: Bei Roman Abramowitsch, dem stillen russischen Eigentümer des FC Chelsea, konnte man den Spielstand (wie fast immer) auch nicht aus dem Gesicht ablesen. Das vielleicht als kleiner Trost für die „Citizens“…

Da war Pep Guardiola aber schon weg. Der 50-jährige Coach von Manchester City war der erste aus seiner Delegation, der in den Katakomben des Estadio do Dragao in Porto verschwand. Wieder eine Fußballreise nach Portugal, wieder eine krachende Niederlage. Aber es war keine Blaupause von Lissabon 2020. Sonst würde ich Ihnen das alles ja nicht erzählen!

Portugal ist für Guardiola keine Fußballreise wert

Nein. Wenn Sie diese Rubrik hier treu verfolgen, wissen Sie: Auch 2020 war Guardiola mit City in Portugal der große Verlierer. https://www.die-fussballreise.de/fussballstadt-lissabon-ein-waterloo-fuer-die-englaender

In Lissabon musste er nach dem Viertelfinale gegen Olympique Lyon (1:3) die Segel streichen. Ein Armutszeugnis für das damals wie heute teuerste Star-Ensemble der Premier League. „Dieser Erfolg ist auch in dem begründet, was wir in den letzten vier Jahren gemacht haben, das war unglaublich“, so hatte Guardiola nach dem Finaleinzug gegen Paris St. Germain geschwärmt. Seine eigene Vorfreude konnte er nicht auf sein Team übertragen. „Das Prunkstück in Guardiolas Titelsammlung“ (Die Presse, Wien) wird weiter auf sich warten lassen. Nicht ohne Grund.

City „ohne Inspiration“ gegen Chelsea?

Mit Blick auf die Formation der „Citizens“ ging einem nun der alte Spruch von Wolfgang „De Cup“ Schäfer durch den Kopf. „Will der Kerl gewinnen?“ Guardiolas Aufstellung? Sagen wir mal: Abenteuerlich! Er ließ mit sechs Offensivspielern und praktisch ohne Doppel-Sechs spielen. Rodrigo (komplett) und Fernandinho (zunächst) blieben draußen. Sein Statement bei der anschließenden Pressekonferenz war dünn. „Ich habe das Beste für das Team versucht“, verteidigte sich Guardiola. „Ich wollte mit dieser Aufstellung das Spiel gewinnen, so haben wir gegen Lyon, Dortmund und Paris gespielt.“ Der Ex-Bayern-Coach, zuletzt 2011 in London mit dem FC Barcelona Sieger in einem Champions-League-Finale, stellte enttäuscht fest: „Wir hatten keine Inspiration.“ Eine Aussage, mit der er bei den strengen englischen Medien nicht punkten konnte. Wie auch? Guardiola hatte sich (wieder mal) vercoacht.

Guardiola und City bleiben auf allen Taktik-Fragen sitzen

„Der verrückte Dirigent sieht, wie der Champions-League-Traum zerfällt”, schrieb der Guardian. „Ein umwerfender Thomas Tuchel lässt Guardiola mit sämtlichen Fragen zurück“, so der Independent. Selbst Thomas Tuchel, nach Ottmar Hitzfeld (1997, 2001), Jupp Heynckes (1998, 2013), Jürgen Klopp (2019) und Hans-Dieter Flick (2020) der fünfte deutsche Champions-League-Siegertrainer, wunderte sich. „Wir haben erwartet, dass Fernandinho spielt“, sagte Tuchel nach dem Spiel. „Er hat eine sehr offensive Aufstellung gewählt.“ Und die Absicherung im zentralen Mittelfeld außer Acht gelassen.

Pep Guardiola - Keine Champions League Titel mit Manchester City

Pep Guardiola - Noch immer kein Champions League Titel mit Manchester City

Es schien an diesem 29. Mai 2021, als hätte Guardiola gegen Tuchel in jeder Grundformation spielen können. Er hätte gegen den so leidenschaftlich am Spielfeldrand coachenden Ex-Dortmunder und seine bissigen „Blues“ immer den Kürzeren gezogen. In der Premier League hatte es der englische Meister Manchester City am 8. Mai 2021 mit einem 3-1-4-2-System versucht. Im FA-Cup-Halbfinale am 17. April 2021 ließ Guardiola 4-2-3-1 spielen. Jeweils ohne Erfolg: 1:2 und 0:1.

In München spielten Tuchel und der Pep Restaurant-Schach

Es war ein spannendes, intensives Finale. Die von vielen befürchtete Taktik-Schlacht war es nicht. Dafür kennen sich die beiden Trainer zu gut. Schließlich hatten sich der Pep und „der Thomas Tuchels“ (Christian Streich) einst in München selbst am Restauranttisch duelliert. So besagt es jedenfalls eine von vielen Münchner G’schichten. Sie wissen schon: José Mourinho fuhr mit dem Taxi mal eben inkognito ins Münchner Olympiastadion. Der Chelsea-Coach war 2005 im Viertelfinale gegen den FC Bayern (eigentlich) gesperrt…

Und Tuchel und Guardiola? Sie spielten das beliebte Restaurant-Schach. Im „Schumann’s“ am Münchner Odeonsplatz wurden Salzstreuer, Pfeffermühlen und Rotweingläser kurzerhand zu Spielfiguren umfunktioniert. Zwei Fußball-Philosophen in ihrem Element. Diese liebenswerte Episode erzählte das Kicker-Sportmagazin am 27. Mai 2021, im Vorlauf zum Finale. Restaurant-Chef Charles Schumann und sein Team hatten offenbar genau zugeschaut und sich das Ding gemerkt.

Ob Pep Guardiola nun bei Manchester City durch die kalte Küche verabschiedet wird? Oder ob Harry Kane, 2019 Verlierer mit Tottenham gegen Liverpool, als neuer Heilsbringer ins Etihad Stadium kommt? Mit derartigen Spekulationen wollte sich der müde wirkende „verrückte Dirigent“ nach dem Finale nicht mehr beschäftigen. „Ich will mit meiner Familie nach Hause gehen“, sagte Guardiola. „Ich habe sie lange nicht gesehen.“

Trauriger Abschied für Agüero

Was bleibt von dieser Final-Niederlage von Manchester City? Die Tränen des Sergio Agüero. Der Argentinier, erst nach 77 Minuten für den enttäuschenden Raheem Sterling eingewechselt, ließ seinen Emotionen nach seinem letzten Spiel für Man. City freien Lauf. 2012 hatte Agüero Manchester City zum ersten Premier-League-Titel geschossen. Es war „die perfekte Minute“ (dapd). So ein unglaublicher Moment lässt sich schwer wiederholen. Er bleibt deshalb für sich stehen.

Poesie in Porto: Die Rückkehr der Fans

Für mich das Schönste an diesem Abend: Im architektonisch anspruchsvollen Stadion in Porto, wunderbar in die Landschaft eingebettet, waren fürs Finale 14.110 Fans zugelassen. Sie zu sehen, zu hören und die einzigartige Atmosphäre eines Champions-League-Finales wieder zu spüren, hatte etwas von Poesie. Und ich freue mich mit Ihnen auf unsere nächste Fußballreise.

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Manchester Citys Trainer Pep Guardiola, hier bei einem Training vor einem Champions-League-Spiel in Kharkiv (Ukraine) am 17. September 2019, steht in der Kritik.
Fotorechte: Lizenzfreie Stockfoto-Nummer: 1545448187 / Vitalii Vitleo