Premier League Offside – Folge 7:

c4e3fac5 5a9b 4520 a142 84615418e608

Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 15.03.2020

Veröffentlicht in Premier League Offside

Warum die Premier League-Saison nicht annulliert werden sollte

Wahrlich, es gibt dieser Tage wichtigere Themen als Fußball! Während das Corona-Virus die Welt in Atem hält und den Fußball-Betrieb fast überall – nur in der Türkei und Russland wird noch gespielt – zum Erliegen gebracht hat, stellt sich hinter den Kulissen die Frage: „Wie geht es weiter?“

Eigentlich sollte die heutige Folge unserer Rubrik unter dem Titel „Was ist los beim FC Arsenal?“ stehen – aber die Aktualität hat uns seit letztem Donnerstag überrollt. Nichts geht mehr im Fußball in Europa, nichts geht mehr in der Premier League.

Der FC Arsenal gehört zu den ersten Vereinen aus der englischen Eliteliga, der eine Infektion mit dem sich immer weiter verbreitenden Corona-Virus meldet. Arsenal-Coach Mikel Arteta hat sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt und befindet sich seit Freitag – wie das gesamte Team um die deutschen Weltmeister Mesut Özil und Shkodran Mustafi – in Quarantäne. Damit wird Arsenal in der 14 Tage umfassenden Inkubationszeit keine Spiele mehr absolvieren können Wie die gesamte Liga, die bis zum 3. April pausieren wird. Vorläufig.

Ob und wie es danach weiter geht, weiß derzeit niemand. Weder in England, noch sonst wo. Ich habe in den letzten Tagen mit Freunden sehr viel über den „Fußball als Anker“ im Leben eines jeden Fans gesprochen – und wir alle haben bei den „Geisterspielen“, die es in Deutschland, Frankreich oder Spanien – nicht jedoch in the UK – gab, gesehen, dass dem Fußball ohne Fans die Seele fehlt. Aber auch, dass Fußball im Leben nicht alles ist.

Saison-Abbruch? Das sagen die Arsenal-Fans

Über Facebook, Telefon und per Messenger haben mich auch viele Fanstimmen aus England erreicht. Dem Vorschlag von Stadtrivale West Ham, genauer gesagt, von Vize-Präsidentin Karren Brady, „die Saison für Null und nichtig zu erklären“, stehen die Fans aus Highbury mit gemischten Gefühlen entgegen. „Es ist die beste Entscheidung, die Spiele abzusagen, jetzt, wo auch bei Arsenal jemand infiziert ist“, sagt ein „Gunners“-Fan. Ein anderer sagt, dass diese Maßnahmen „leider zu spät“ kommen und ein Dritter (Namen dem Autor bekannt) findet es „schade, dass in nächster Zeit keine Spiele stattfinden werden.“

Tausche Grottenkick gegen Corona-Angst!

Sicher, wir würden die aktuelle Situation für jeden noch so schlechten Grottenkick eintauschen, wenn wir wenigstens Gewissheit hätten und die Lage unter Kontrolle wäre bzw. sogar Entwarnung gegeben werden könnte. Wann das sein wird, steht in den Sternen. Deshalb gilt es: Keep calm and enjoy your beer! Abwarten und Bier trinken!

West Ham handelt egoistisch, nicht solidarisch

Dass die Idee, die Saison zu knicken, von West Ham kommt, überrascht nicht. Die „Hammers“ würden von einem Saison-Abbruch profitieren, da sie derzeit auf Platz noch knapp über dem Strich, also oberhalb der Abstiegsränge stehen. Das ist mir zu opportunistisch gedacht!

Anders als beim FC Arsenal wird man vor allem beim FC Liverpool den Vorschlag, die Saison komplett zu streichen, not amused sein. Die „Reds“ sind der designierte englische Meister und führen die Tabelle mit 25 Punkten Vorsprung an. Nimmt die Premier League am 4. April tatsächlich wieder den Spielbetrieb auf – was ich derzeit für utopisch halte – wären Jürgen Klopp und sein Team mit einem Sieg im direkten Duell bei Manchester City so gut wie Meister.

Diese Chance, den ersten Meistertitel nach 30 Jahren einzufahren, sollte man den „Reds“ nicht nehmen! Nur, damit wir uns richtig verstehen: Das heißt nicht, dass auf Roter-Teufel-komm-raus weitergespielt werden soll! Es wäre meiner Meinung nach nicht fair, die Saison für nichtig zu erklären – sondern sie mit dem Stand vom 29. Spieltag „einzufrieren“ und abzuschließen. Eine harte Entscheidung, aber auch eine faire. „Was wäre, wenn man zu Ende gespielt hätt“, darf angesichts der wahrscheinlich auf Monate hinaus unüberschaubaren, weltweiten Gesamtlage keine Frage sein.

Van Dijk: „Nehmt unseren Fans den Titel nicht!“

Dass wieder gespielt wird, dafür tritt Liverpools niederländischer Abwehrchef Virgil van Dijk vehement ein. „Unsere Fans wären absolut am Boden zerstört, wenn die Corona-Krise sie davon abhalten würde, den ersten Titelgewinn seit 30 Jahren sehen zu können“, erklärt der 28-Jährige, „niemand will Spiele ohne Fans.“

Virgil van Dijk - Our center Half
Foto: Virgil van Dijk vom FC Liverpool will keine Geisterspiele in der Premier League.

Das Champions-League-Achtelfinale am Mittwoch, also zwei Tage vor dem Shut Down des europäischen Fußballs, haben die „Reds“ zwar mit 2:3 in der Verlängerung gegen Atlético Madrid verloren, aber das Stadion in Anfield war noch einmal ausverkauft. Gleiches galt auch am Donnerstagabend in Glasgow, beim 1:3 der Rangers im vollbesetzten Ibrox Park gegen Bayer 04 Leverkusen (Fußballreisen nach Schottland) https://www.die-fussballreise.de/schottland/, der Abschiedsvorstellung des europäischen Fußballs bis hierhin.

Fußball-Legende Rooney kritisiert das System

Dass das alles auch auf dem Rücken der Spieler und der Funktionäre ausgetragen wird, nervt viele Protagonisten. Nicht nur in England. „Geisterspiele“, sinniert Rudolf „Rudi“ Völler (59) am Donnerstagabend nach dem Spiel in Glasgow, „sind einfach beschissen.“ Englands Fußball-Idol Wayne Rooney (34, jetzt Derby County) schlägt am Sonntag in der vornehmen Times Alarm: „Hat es erst so weit kommen müssen, dass Mikel Arteta erkrankt, damit die richtige Entscheidung getroffen wird?“ Wild Wayne wird deutlicher: „Es war eine Woche, die für Spieler, Verantwortliche und ihre Familien besorgniserregend war und viele haben sich über die Führungsschwäche der Regierung, der FA und der Premier League gewundert und sich gefragt: Hat es nur mit dem Geld zu tun, das in diesen Wettbewerben steckt?“

Rooney verteidigt die Entscheidung, die Spiele vorerst auszusetzen: „Es ist der richtige Schritt und bis es dazu kam, haben sich viele Fußballer in England wie Versuchskaninchen gefühlt.“ Und machtlos. Wie wir alle.

 

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2018 als leitender Redakteur bei Ligalive.net. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.

Hinterlasse dein Kommentar