Es war die irrste Szene der Premier League. Der unberechenbare Franzose Eric Cantona von Manchester United trat im Selhurst Park Stadium von Crystal Palace am 25. Januar 1995 den Zuschauer Matthew Simmons – und sorgte damit für einen der größten Premier-League-Skandale aller Zeiten.
„Verpiss dich nach Frankreich, du französischer Bastard, du französisches Tier, deine Mutter ist eine französische Hure, raus, raus, raus, raus, eine frühe Dusche für dich, Mister Cantona!“
Das alles soll Matthew Simmons, Zuschauer im Selhurst Park bei Crystal Palace gegen Manchester United (1:1) am 25. Januar 1995 angeblich in die Richtung des vom Platz trottenden United-Superstars Eric Cantona gebrüllt haben.
Schriftlich haben wir das aber auch nicht, denn seine Anwälte bestritten diese Version später. Wie auch immer, es waren englische Schimpfwörter ohne gallische Übersetzung.
Nicht einmal eine Minute zuvor lieferte BBC-Reporterlegend Clive Tyldesley eine Episode aus der Serie „Ein Elefant irrt sich gewaltig („Oh, ich hab mich geirrt!“).“ Nach dem Platzverweis von Manchester Uniteds Offensiv-Allrounder, dem unberechenbaren, trickreichen Eric Cantona beim Premier-League-Match im Londoner Süden bei Crystal Palace war er sicher, dass „wir die morgendliche Schlagzeile schon haben.“
Was weder der gute Clive noch die Zuschauer im Selhurst Park – 1990 übrigens der erste englische Ground, den ich besucht habe – ahnen konnten: Sekunden später folgte die weitaus dickere Schlagzeile.

25. Januar 1995: Der Moment, der die Premier League veränderte: Eric Cantona von Manchester United (No. 7) tritt im Spiel bei Crystal Palace den Zuschauer Matthew Simmons. Foto: Imago / Colorsport
Kung Fu-Cantona – Aus der Reihe „Schicksalhafte Begegnungen“
Eine, bei der das dazu veröffentlichte Foto in England zu den drei ikonischsten Fußball-Szenen der 1990er Jahre wurde. „Kung-Fu Cantona“ brannte sich ähnlich stark ins Bewusstsein der englischen Fußball-Öffentlichkeit ein wie der weinende Paul Gascoigne nach dem „Aus“ der Engländer im WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland oder die geschlagen auf dem Rasen liegenden Spieler des FC Bayern München nach dem Champions League-Finale 1999 gegen Manchester United in ihren silbergrauen Trikots.
Es war kurz nach 21 Uhr. Matthew Simmons saß auf der Haupttribüne von Cyrstal Palace. Da ihm kalt war, begab er sich um insgesamt 14 Sitzreihen nach unten. Cantona hatte nach einem üblen Foul gegen Palace-Abwehrspieler Richard Shaw die Rote Karte gesehen und lief mit der ihm eigenen Contenance vom Platz.
„Das konnte ich nicht durchgehen lassen“
Simmons erreichte in diesen Sekunden die Bande. Cantona ging nicht vorbei. Er sprang urplötzlich hoch, trat Simmons im Stile eines Kung-Fu-Kämpfers und stürzte sich auf ihn. Die Fäuste flogen.
„Der Kerl hat meine Mutter beleidigt“, begründete Erich Cantona später vor Gericht den Ausraster, „das konnte ich nicht durchgehen lassen.“ Nein, nein, natürlich nicht..
Die Hotelmanagerin Cathy Churchman und ihre Kinder Steven und Laura, beide im Teenager-Alter, waren damals Augen- und Ohrenzeuge der Auseinandersetzung zwischen Cantona und Simmons. Sie konnten Cantonas Version nie bestätigen: „Meine Kinder und ich haben nicht gehört, was Simmons gerufen hat, weil in diesen Sekunden alle im Stadion Cantona nach seinem Platzverweis ausgebuht haben.“ Cathy Churchman: „Der Tritt hat auch mein Leben verändert, weil ich so dicht dran war, dass Cantonas Fußballschuh meinen Mantel gestreift hat.“
Steven Churchman erinnert sich aber auch an seinen Sitznachbarn, der im Moment von Cantonas Kung-Fu-Tritt gegen Matthew Simmons offensichtlich andere Sorgen hatte: „Der Typ neben mir brüllte nur: Oh mein Gott, hoffentlich bin ich jetzt nicht im Fernsehen, denn ich war heute nicht arbeiten!“
„Der Abend, an dem der Fußball vor Scham starb“
Das musste Eric Cantona in der Folgezeit auch nicht. Nach „dem Abend, an dem der Fußball vor Scham starb“ (Daily Mirror) wurde der Kung-Fool des englischen Fußballs bis Saisonende gesperrt, die Sperre wurde bis Oktober 1995 verlängert.
11.000 Pfund, umgerechnet fast 15.000 Euro Geldstrafe musste Cantona bezahlen, er entging nur knapp einer zweiwöchigen Haftstrafe.
„Der Hooligan“, wie Cantona den getroffenen Matthew Simmons titulierte, erhielt ein Jahr Stadionverbot. Ein Treffen mit Cantona zum 10-jährigen Jubiläum des Vorfalls lehnte er 2005 ab.
Der tätliche Angriff auf einen Zuschauer – Cantona, der heißblütige Franzose, beging an diesem 25. Januar 1995 den Tabubruch im britischen Fußball. Das hatte sich zuvor noch kein Profi getraut.
„Es war der abscheulichste Zwischenfall, an dem ein Spieler beteiligt war, den ich jemals in einem englischen Fußballstadion gesehen habe“, kommentierte West Ham-Legende Sir Trevor Brooking bei BBC.
Von Einsicht war bei Cantona nichts zu spüren. Auf einer Pressekonferenz im Herbst 1995 legt er sich mit beinahe kryptischen Worten mit der englischen Presse an, die er als eine „Horde von Seemöwen, die hinter einem Frachter herfliegt, weil sie glaubt, Sardinen aufschnappen zu können“, doch recht bildhaft beschrieb.
Was er mit diesem Vergleich genau gemeint hat, wusste er hinterher selbst nicht mehr. „Ich wollte irgendetwas sagen. Es sollte zwar etwas bedeuten, aber ich weiß nicht genau, was“, so Cantona später. Aus der Reihe ,,Los, sagen Sie irgendwas..."
Tja, so genau kriegen wir das nach 30 Jahren leider auch nicht mehr zusammen…
Cantona war kein Spieler wie jeder andere. Das spürten alle, als der verrückte Franzose im Februar 1992 in Sheffield auftauchte. „Er liest Baudelaire und Montesquieu, was im fußballerischen Umfeld immer noch nicht gern gesehen ist. Er schreibt Gedichte und malt. Er ist zur Hälfte Spanier und die Fans seiner häufig wechselnden Vereine beten ihn an, ihn und sein Spiel“, schrieb der spanische Autor Javier Marías 2000 in Alle unsere frühen Schlachten über Cantona, der Leeds United 1992 zum letzten Meistertitel führte.
Cantona machte Manchesters „Nearly Men“ zum Erfolgsteam
Bei den Fans von Manchester United genoss Cantona trotz oder gerade wegen seines Auftritts im Selhurst Park Stadium Kultstatus. „The King“ nannten sie ihn, einige sagten sogar Gott zu dem bärbeißigen Typen, der mit den „Red Devils“ vier Premier-League-Meister (1993, 1994, 1996, 1997) und 2-mal FA Cup-Sieger (1994 und 1996) war.
Das Kicker-Sportmagazin (Ausgabe vom 23. Januar 2025) beschrieb ihn als „den Mann, der aus einer Mannschaft der Konjunktive, aus einem Haufen von Nearly Men eine Gewinnertruppe machte.“ Stimmt.
Verbinden wird man Cantona aber auch in 30 Jahren zu allererst mit dem Kung-Fu-Tritt gegen Simmons. Damit muss er leben. Aber: Der Erich, der kann jede Menge vertragen.
Wann spielt Crystal Palace 2024/2025 gegen Manchester United?
Manchester United tritt kurz nach dem 30. Jahrestag von Cantonas Kung-Fu-Kick am 2. Februar 2025 in Old Trafford gegen „The Eagles“ an.
Wann ist das Rückspiel im Manchester-Derby, United gegen City?
Am 5. April 2025 erwarten United den Stadt- und Erzrivalen im „Theater der Träume“.