Lost Grounds (1): The Old Den – Millwalls legendäre Löwengrube

Carsten Germann am Millerntor

Author: Carsten Germann
Published: 26.08.2024

Veröffentlicht in

Neu bei die-fussballreise.de: Lost Grounds – Stadien, die nicht mehr bespielt werden. Kultstätten des Fußballs, die entweder abgerissen oder umgewidmet wurden, die aber immer ihren Platz im kollektiven Gedächtnis der Fans haben werden. Der erste Teil unserer Reihe führt uns – natürlich – nach London und zwar in die legendäre „Old Den“, das alte Stadion des in der Championship spielenden FC Millwall

Es sind nur ein paar Kilometer die Themse entlang. 500 Meter vom heutigen Stadion des FC Millwall, The Den („Die Grube“ / „Die Höhle des Löwen“) fand sich einst und bis 1993 ein Ground, der nicht nur in England einen Ruf wie Donnerhall hatte: „The Old Den“. 
Heute stehen auf dem Terrain der „Old Den“ Wohnhäuser, dort entstand ein neues Viertel namens Little Millwall. 

Millwall New Den

Blick in ,,The New Den", das Stadion des FC Millwall. Foto: Shutterstock.

„The Old Den“, von Experten wie Duncan Adams als „irgendwie dunkel, feucht und bedrohlich“ beschrieben, war im Londoner Stadtteil Lewisham seit 1910 die Heimat des Millwall Football Club.

Zwischen 2006 und 2010 war Lewisham mein Stammquartier bei allen Reportage-Reisen und Spielbesuchen in London. Im Manna House sprachen wir über Gott und die Welt und natürlich über Fußball und den FC Millwall. 

Millwall Old Den Schild

Dieses Schild erinnert in Millwall an den Standort der ,,Old Den". Foto: Imago

„No one likes us, we don’t care!“

„Dort würde ich nicht hingehen“, rieten mir fast alle Gesprächspartner im Pub, sobald die Rede von einem Besuch in Millwall war. 

Aber natürlich hat es mich gereizt, dem FC Millwall einen Besuch abzustatten – und natürlich machte ich mich gegen jeden gut gemeinten Rat an einem kalten Novemberabend 2006 auf zu „The Den“, wo man vom Bahnhof New Cross Gate einen ein Kilometer langen Fußmarsch unternehmen kann. Bequemer geht es mit dem Fernzug bis South Bermondsley, wo es dann nur fünf Minuten bis zum Stadion sind. „Die Arbeit der Polizei“, schrieb Duncan Adams 2010, „ist durch diesen gesicherten Anmarschweg ungleich einfacher geworden, denn Auswärts- und Heim-Fans werden definitiv getrennt.“

Das war früher anders. „The Old Den“ galt als eines der problematischsten Fußballstadien in Großbritannien. Es war ein Abenteuer-Spielplatz für Hooligans. 

Unter den organisierten Hooligan-Gruppierungen („Firms“) gehörten Millwalls „Bushwackers“ seit den frühen 1980er-Jahren zu den berühmt-berüchtigtsten Schlägertrupps auf der Insel. 

Millwall Pitch Invasion

Platzstürme gehörten in der ,,Old Den" ebenso dazu wie im neuen Stadion, im Bild 1994 gegen Derby County. Foto: Imago.

Selbst lange nach dem Abriss der „Old Den“ sorgten sie für dicke Negativ-Schlagzeilen, u. a., als es beim Relegations-Halbfinal-Spiel der First Division 2001/2002 gegen Birmingham City zu schweren Ausschreitungen kam. Inzwischen hat der Verein diese Gruppe weitgehend aus dem Stadion ausgegrenzt. 

Die Geschichten der „Bushwackers“ und anderer „Firms“ wurden ab den 2000er-Jahren in reißend abgesetzten Büchern niedergeschrieben und bleiben ein (unschöner) Teil der englischen Fußball-Folklore. 

Der bekannteste Song, den die „Bushwackers“ auf die Tribünen von Millwall brachten ist „No one likes us, we don’t care.“ (Dt.: „Keiner mag uns, scheißegal“ / Melodie: Rod Stewart: „Sailing“).

Ein finsterer Fußweg

Bleiben wir im Stadion. Der Weg ist immer noch der gleiche. Durch die finstere Eisenbahnunterführung an der Cold Blow Lane wird beim Portal millwall-history.org als „perfekte Kulisse für einen Jack-the-Ripper-Horrorfilm“ beschrieben. Es geht vorbei an unansehnlichen Hinterhöfen und Müllhalden. 

Im Stadion sah es nicht viel anders aus. Vor dem Taylor-Report von 1993, der in Großbritannien das Ende der Stehplatzkultur brachte und damit auch das Ende des alten Millwall-Stadions einläutete, gab es in der alten „Den“ nur 10 Prozent Sitzplätze. Die nicht ausreichende Flutlichtbeleuchtung ließ die Spiele in Millwall immer ein wenig finster wirken. 

Erst 1986, unter neuen Club-Eigentümern, wurden essentiell wichtige Dinge wie Wellenbrecher auf den Tribünen, eine neue TV-Reporterkabine und ein Familienblock in der „Old Den“ eingeführt. 

„Hier ruht The Den“ 

In den späten 1980er-Jahren lagen die Zuschauerzahlen beim FC Millwall, der erst 1987 in die First Division, die Vorgänger-Liga der 1992 eingeführten Premier League, aufsteigen konnte, zwischen 4.000 und 18.000.

Das Ende der „Old Den“ kam im Jahr 1993. Nicht ohne Melancholie. „Here lies the Den 1910 – 1993. Murdered by Reg Burr“, stand auf einem Plakat, das einige Millwall-Fans beim Abschied – natürlich unter Polizei-Aufsicht über den Rasen trugen – „Hier ruht The Den, ermordet von Reg Burr“. 

Gemeint war der legendäre Millwall-Präsident Reginald Burr († 2012), der den Verein 25 Jahre lang führte und eine Schuldenlast von mehr als 5 Millionen Pfund abtrug. 

„Die Leute fingen in den letzten Tagen des Stadions an, die alten Zeiten zu romantisieren“, schrieb millwall-history.org dazu, „die meisten waren mit dem Umzug einverstanden, für andere aber war es das Ende der Straße. Sie setzten keinen Fuß in das neue Stadion, denn es war für sie nicht mehr das Millwall, das sie kannten und das sie liebten.“ 

 

Carsten Germann am Millerntor

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.

×