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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 08.12.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside

Aston Villa: „Good Ebening“ von der Trinity Road!

Sie sind die Mannschaft der Stunde. Die „Villans“ („Schurken“) von Aston Villa rocken die Premier League und stehen nach einem packenden 1:0 gegen Manchester City am 6. Dezember 2023 auf Rang 3 der englischen Eliteliga. Kann Aston Villa gar der Konkurrenz weiter Fallen stellen und englischer Meister werden? Was macht das Team aus dem Villa Park an der Trinity Road so stark? 

Es ist einmal dieser Typ mit dem verschmitzten Lächeln. Kein Schurke. Aber ein ausgekochter Hund. Ein Schelm aus Spanien, ein Taktik-Fuchs und ein Menschenfänger namens Unai Emery. Auf der iberischen Halbinsel nennen sie ihn „El Trampero“, den Fallensteller. Ich schreibe das mit höchstem Respekt, denn mutige Trainer-Typen sind mir immer die liebsten.

„Mir gefällt es, ein Team zu haben, das ausgewogen ist und Spaß daran hat, vorwärts zu spielen“ sagt Emery über seine Mannschaft. Stimmt. Besser 4:3 gewinnen, als 1:0.

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1:0 dank Leon Bailey am 6. Dezember 2023 gegen Manchester City. Ganz England fragt sich: Kann Aston Villa die Premier League gewinnen? Foto: Imago / PA Images

Beim 1:0 gegen Manchester City am 6. Dezember 2023 gab Emery, der englische Journalisten-Kollegen zu jeder Tageszeit mit seinem berühmten Gruß „Good Ebening“ empfing, den stillen Genießer. Vielleicht hatte er auch die Faust in der Tasche geballt.

Für voreilige Prognosen ist es noch zu früh. Eine Premier-League-Saison, das wissen Sie, wenn Sie hier regelmäßig mitlesen, ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Fußballreisen Premier League führen in die stärkste und beliebteste Liga der Welt, aber für Zocker kann die 1992 aus der Taufe gehobene Luxus-Spielklasse ein Albtraum sein.

Auch dank Aston Villa, diesem auf den ersten Blick so unscheinbar daher kommenden Clubs. „Traditionsverein“, klar. Welcher Club aus der Premier League ist das nicht?

Aber zu dieser „Tradition“ gehörte seit 2015 leider auch Hire-and-Fire-Prinzip bei den Trainern. Seitdem sah man in Birmingham mit dem Franzosen Rémy Garde und dem gebürtigen Schweizer Roberto di Matteo zwei der drei vom Punkteschnitt her schlechtesten Cheftrainer, die bei Aston Villa mindestens 10 Spiele betreut hatten. Sie holten nur 0,7 bzw. 0,83 Punkte pro Spiel.

Bester Punkteschnitt aller Villa-Trainer

Kein Heilsbringer war auch der zuvor bei den Glasgow Rangers erfolgreiche englische Ex-Nationalspieler Steven Gerrard („Oh Captain, mein Captain!“). Der legendäre Liverpool-Skipper kam bei Aston Villa auf 1,18 Zähler aus 40 Spielen. Gerrard wurde schließlich am 1. November 2022, also vor knapp 13 Monaten, durch Unai Emery ersetzt. Der aus einer echten Torhüter-Familie stammende Baske holte seitdem 1,98 Punkte im Schnitt – und ist damit der beste Villa-Trainer aller Zeiten.

„Good Ebening“-Emery brachte Villa den Erfolg, die Anerkennung, die sie sich in Englands zweitgrößter Stadt schon so lange wünschen.

Mehr als 40 Jahre ist es her, dass Aston Villa 1981 seine siebte und letzte englische Meisterschaft feiern durfte. Ein Jahr später gelang in Rotterdam der spektakuläre 1:0-Triumph gegen den FC Bayern München im Europapokal der Landesmeister. Ein Spiel, an das ich mich gut erinnere! Die Engländer mussten bereits nach 10 Minuten Stamm-Torhüter Jimmy Rimmer verletzungsbedingt ersetzen. Für ihn kam Nigel Spink, der die hoch favorisierten Münchner mit seinen Paraden zur Verzweiflung brachte.

1982: Der eingesprungene Aushilfs-Keeper

Der Ersatz-Torhüter machte – kaum zu glauben – gegen die Bayern sein einziges Spiel im Meisterwettbewerb für „Villa“. Die Mienen der konsternierten Großkopferten aus München, Paul Breitner (,,Also ich... werd' hier nie mehr spielen"), „Hanne“ Weiner, Dieter Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge oder Wolfgang „Scheppe“ Kraus vergisst man nie.

Danach spielte Aston Villa nur noch einmal und zwar als Titelverteidiger 1982/83 im Meister-Wettbewerb.
2024 könnte es eine Premiere in der Champions League geben. Unai Emery hat einen neuen Geist an die Trinity Road gebracht. Obwohl Titelsammler beim FC Sevilla, FC Villarreal und PSG (Triple-Sieger in Frankreich), wurde der Spanier insbesondere in seiner Zeit als Nachfolger von Trainer-Legende Arsene Wenger beim FC Arsenal für seine unkonventionellen Methoden von der Fachwelt manches Mal belächelt.
Völlig zu Unrecht. Seit Unai Emery in Birmingham wirkt, holte Aston Villa 81 Punkte.
Nur der FC Liverpool (85), der FC Arsenal (89) und Manchester City (90 Zähler) generierten seit November 2022 mehr Zähler.

„Er weiß vorher, wie es ausgehen wird“

Matty Cash, der polnische Nationalspieler mit englischen Wurzeln, sagt nicht ohne Augenzwinkern: „Vor einem Spiel gibt uns der Trainer einen Spielplan und das ist schon verrückt, wie er immer vorher schon weiß, wie das Spiel ausgehen wird.“

Das ist beruhigend! Vor allem aber lässt Emery taktisch flexibel agieren. Er studiert die Gegner und analysiert deren Fehler mit der Präzision eines Mathematikers. Dann stellt er seine taktischen Fallen auf, in die am 6. Dezember 2023 auch Manchester City und Pep Guardiola gelaufen sind.

Erstmals in seiner Trainerkarriere und im 14. Duell gewann Emery mit einer von ihm betreuten Mannschaft gegen Guardiola.

Doch die Partie gegen City bot noch mehr verblüffende Fallen… ähm… Fakten.

Aston Villa feuerte in den ersten 45 Minuten 13 Schüsse auf das Tor von Man. City ab – das ist der höchste Wert eines Gegners aus den europäischen Top-5-Ligen gegen ein von Guardiola trainiertes Team.

Zudem konnte die Mannschaft aus Birmingham gegen die „Citizens“ ihren 14. Heimerfolg in Serie in der Premier League einfahren. Damit egalisierte der im 21. Jahrhundert noch titellose Verein seinen clubinternen Uralt-Rekord aus den Jahren 1931 und 1903.

Das 1897 eröffnete Stadion an der Trinity Road, Birmingham B6 6HE, war Spielort bei der WM 1966 und der EURO 1996, jenem unvergessenen Turnier mit dem schmissigen Turnier-Song „Three Lions“ von Baddiel, Skinner & the Lightning Seeds, sowie beim letzten Europacup-Finale der Pokalsieger 1999.

Das Stadion ist vom Bahnhof Birmingham New Street in 15 Minuten mit der Stadtbahn (Haltestellen: Aston oder Witton) leicht zu erreichen. Witton ist nur ein paar Minuten Fußweg vom Villa Park entfernt. An den Spieltagen gibt es auch Sonderzüge.

Und die sind gut frequentiert. 41.000 Fans pilgern im Schnitt an die Trinity Road. Sie sahen 2023 sechs Siege aus sechs Heimspielen. Besonders imposant ist die zweistöckige Tribüne Holte End, die zur Saison 1994/95 eingeweiht wurde. Entlang der Gegengerade findet sich die Doug Ellis Stand, die nach Sir Herbert Douglas „Doug“ Ellis († 2018) benannt. Der Reiseunternehmer rettete Aston Villa 1969 vor dem Bankrott und war zwei Mal (1968 bis 1975 und 1982 bis 2006) Klub-Boss.

Zurück in die Gegenwart. 10 Siege hat Unai Emerys Team in dieser Saison nach 15 Spieltagen bereits auf der Haben-Seite, so viele wie in der Meister-Saison 1980/81.

Und: Das Überraschungsteam hat mit 32 Zählern (Rekord in Aston Villas Premier-League-Historie) die exakt gleiche Punktzahl wie der spätere Sensationsmeister Leicester City 2015 nach 15 Spielen.

Aston Villa ein Fall für den „internationalen Schock-Level“?

Das Portal The Analyst geht schon einen Schritt weiter. Dass dem „Fallensteller“, der auf ein nicht glamouröses, aber hoch motiviertes Star-Ensemble um Weltmeister-Torhüter Emiliano Martinez, Cash, Lucas Digne und die beiden Ex-Leverkusener Leon Bailey und Moussa Diaby sowie Top-Torjäger Ollie Watkins (8 Saison-Treffer / Stand: 8. Dezember 2023) bauen kann, der ganz große Coup gelingt, halten die Kollegen mit einer Titelchance von 2,2 Prozent nicht für sehr wahrscheinlich.

Oder soll man sagen: Noch nicht? Matt Furniss schrieb dazu allerdings am 8. Dezember 2023: „Nach ihrem eindrucksvollen Sieg muss man Aston Villa als Herausforderer einstufen“, hieß es dort am 8. Dezember 2023, „Ein Titelgewinn von Unai Emerys Aston Villa 2023/24 würde natürlich im internationalen Schock-Level unterhalb von Leicester Citys Meisterschaft 2016 rangieren, aber es würde in jedem Fall in einem Atemzug mit den größten Coups aller Zeiten genannt werden. Wir sind davon noch unglaublich weit entfernt, aber ihr 1:0-Sieg gegen Manchester City lässt die Fans träumen.“

Träumen ist immer erlaubt – und gehört zur Premier League dazu. „Good Ebening“.

Der Autor

Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2005 für SPORT BILD sowie seit 1. April 2021 als leitender Redakteur bei Fussballdaten.de.

Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er wöchentlich über den Insel-Kick.


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