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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 01.12.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside

Punktabzug: Everton und die „Dogs of War“-Nostalgie

Der blau-weiße Teil Liverpools steht unter Schock: Dem FC Everton droht nach einem Punktabzug von 10 Zählern der Zwangsabstieg aus der Premier League. Für die „Toffees“, die im Hafen von Liverpool gerade ein neues Stadion bauen, wäre das ein Horror-Szenario. Doch im Goodison Park steht man zusammen. Und hofft, dass sich Geschichte wiederholt.

Am 1. Dezember 2023 ist der FC Everton in die Offensive gegangen. Der Europapokalsieger der Cupgewinner von 1985 legte Protest gegen den Zehn-Punkte-Abzug ein, den die Premier League zwei Wochen zuvor gegen den Liverpooler Traditionsclub verhängt hatte.

Mit diesem Malus stürzte Everton auf den vorletzten Tabellenplatz der englischen Eliteliga ab. Grund für den Punkte-Abzug waren Verstöße gegen die finanziellen Regeln der Liga.

Einen höheren Abzug hat es in der 1992 gegründeten Premier League noch nie gegeben.
Vor Everton hatten bereits der FC Middlesbrough (3 Zähler) und der FC Portsmouth (9) mit einem Punkt-Abzug zu kämpfen. Beide Clubs stiegen am Ende ab.

Vier Zähler hat der FC Everton nach diesem für sich desaströsen Urteil noch auf der Haben-Seite. Die pure Tristesse!

„Wir waren fassungslos. Ich glaube, der gesamte Fußball war fassungslos. Was kommt als Nächstes?“, sagte Teammanager Sean Dyche in der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel bei Nottingham Forest am 2. Dezember 2023. Nicht ohne Sarkasmus.

124,5 Millionen Pfund Verlust

Ja, was kommt als Nächstes? Erst mal diese Zahlen! Laut den Regeln für Nachhaltigkeit und Rentabilität, genannt PSR, dürfen englische Teams über einen Zeitraum von drei Jahren maximal 105 Millionen Pfund (119 Millionen Euro) Verlust machen

Eine unabhängige Kommission hatte festgestellt, dass Everton im Zeitraum bis zur Saison 2021/2022 jedoch 124,5 Millionen Pfund Verlust gemacht haben soll. So hieß es in der Mitteilung der Premier League.

Der neunmalige englische Fußballmeister (zuletzt 1987) hat als Gründungsmitglied der Football League bei lediglich vier zweitklassigen Jahren bis heute mehr Zeit in der höchsten englischen Liga verbracht als jeder andere Verein.

„Werden für die Jungs im blauen Jersey kämpfen“

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Fußballreisen FC Everton: Dieses Traumtor von Alejandro Garnacho von Manchester United gegen die ,,Toffees" geriet angesichts der Proteste gegen den Punktabzug gegen Everton fast in Vergessenheit... Foto: Imago

Im Heimspiel gegen Manchester United (0:3) sah ganz Fußball-England ein geschocktes Everton. Die Fans protestierten zu Tausenden auf den Tribünen des Goodison Park, der mit Beginn der Saison 2024/2025 aller Voraussicht nach ausgedient hat, mit eindeutigen Botschaften.

„Wo Macht, Gier und Geld sind, ist Korruption“, hieß es auf einem ihrer Banner. „Wir werden für die Jungs im blauen Jersey kämpfen“, so der Titel eines anderen Plakats.

Von einem Abgesang auf die „Toffees“ sind wir noch weit entfernt. Der FC Everton hat in den letzten Jahren mehrfach erfolgreich gegen den Abstieg gekämpft.

Aber dieses Mal haben die Blauen aus Liverpool die mit Sicherheit schwerste Ausgangsposition. Die Daten-Analysten von Opta sehen Everton nach dem (angefochtenen) Punkt-Abzug bei einer Abstiegs-Wahrscheinlichkeit von 34,1 Prozent. Luton Town (70 Prozent), Sheffield United (78 %) und der FC Burnley (80,6) kommen da deutlich schlechter weg.

Die Einheit der „Evertonians“

2022 reichten der Mannschaft von Frank Lampard 39 Punkte, um oben zu bleiben. Kraft zieht der FC Everton 2023 in dieser deprimierenden Lage vor allem aus seiner Fan-Basis.

„Das ist ein Schock“, sagte der „Evertonian“ und Gastgeber des Podcasts A Game of Two Halves, Ellis Nordhoff, bei BBC Sport, „aber diese Fan-Base ist wie keine andere, denn bei Widrigkeiten stehen wir so eng zusammen wie sonst niemand. Wir werden das Team und den Verein trotz aller Schwierigkeiten unterstützen. Die Einheit unter den Evertonians wird stärker sein als je zuvor.“

Dass es einem Team mit 4 Punkten aus 12 Spielen in der Premier-League-Ära noch gelang, den Abstieg zu vermeiden, das hat es nur 1994/95 gegeben.

Ein Jahr zuvor war es ebenfalls der FC Everton höchst selbst, der in einem dramatischen „Final Day“ mit 3:2 nach 0:2 gegen den FC Wimbledon mit Trainer Mike Walker noch die Rettung schaffte. Ich habe dieses Spiel in Football’s home (Verlag: DIE WERKSTATT) 2007 thematisiert, ein Lehrstück für den Abstiegskampf mit einer unglaublichen Dramatik. 

Aber das ist die Vergangenheit. Falls der Einspruch der „Toffees“ abgewiesen und die Mission „Klassenverbleib“ scheitern, droht Everton der bittere Gang in die Championship. Das 505 Millionen Euro teure Everton Stadium in Liverpools Bramley-Moore-Docks, wo es zwischenzeitlich einen Baustopp gab, würde dann als Zweitliga-Stadion eingeweiht.

Auch ist offen, ob das Investment und die Übernahme durch das in Miami ansässige Unternehmen 77 Partners dann realisiert wird. Bei einem Abstieg und einem Abwinken des Investors könnte der FC Everton in finanzielle Turbulenzen stürzen. Sogar das böse Wort „Insolvenz“ hängt derzeit über dem Goodison Park.

Geht der Europacupsieger in die Insolvenz, wäre ein erneuter Neun-Punkte-Abzug möglich.

Ein Horror-Szenario, von dem in Goodison noch niemand spricht.

In Everton beschwört man im Dezember 2023 die „Dogs of War“ (Dt.: Söldner)-Mentalität, die die Mannschaft von Trainer Joe Royle einst auszeichnete. Der Everton Football Club vermied 1994 erst den Abstieg und gewann 1995 gegen Manchester United (1:0) den FA Cup.

Die „Dogs of War“ im Everton-Mittelfeld waren John Ebbrell, Barry Horne und Joe Parkinson.

Fußballreisen FC Everton „Die Fans leben und atmen diesen Club“

Nordhoff ist sicher: „Jeder wird versuchen, den Club über die Linie zu pushen, es wird schwierig, aber wir werden oben bleiben.“

„Die Atmosphäre in Goodison wird jetzt wild“, glaubt EFC-Trainer Sean Dyche, „die Spieler werden angetrieben werden und sie werden das Kribbeln im Bauch spüren. Die Everton-Fans sind so leidenschaftlich, sie leben und atmen diesen Club.“

Eine Fußballreise FC Everton lebt von dieser Emotion. Gerade beim Merseyside-Derby gegen den FC Liverpool, dessen Stadion Anfield gerade mal 970 Meter Fußweg entfernt ist, spürt man diese Atmosphäre am intensivsten.

Everton und der Punkt-Abzug – Es ist schade, dass das Spiel gegen Manchester United mit dem Traumtor des 19 Jahre alten Alejandro Garnacho per Fallrückzieher (3.), der „Höhepunkt des Spieltags“ (SPORT BILD, Ausgabe 48 / 2023), so zur Fußnote verkam.

Garnacho wurde damit zum jüngsten Spieler, der im Goodison Park gegen den FC Everton traf – mit 19 Jahren und 148 Tagen übertrumpfte er den legendären Wayne Rooney („Over the Moon, we‘ ve got the Roon“), der einst von Everton aus auszog, um die Fußballwelt „in Roo-ins“ zu legen. Rooney war beim Treffer gegen seinen Ex-Klub im Jahr 2005 in Diensten von Manchester United 19 Jahre und 293 Tage alt.

Typen wie er sind in dieser Existenz gefährdenden Lage des FC Everton gefragt. Dogs of War. Mehr denn je.

Der Autor

Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und SPORT BILD sowie seit 1. April 2021 als leitender Redakteur bei Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.


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