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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 27.10.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside

Fußball-Idol Sir Bobby Charlton: Wenn England trauert…

Sir Bobby Charlton (86) ist tot – Diese Nachricht platzte am 21. Oktober 2023 in den Premier-League-Samstag und in das Merseyside-Derby FC Liverpool gegen den FC Everton (2:0). Wenig später erhielt ich via Facebook von Liverpool-Stadionsprecher George Sephton („The Voice of Anfield“) eine bewegende Würdigung für Englands verstorbenes Fußball-Idol.

„Ich habe die traurige Nachricht erhalten, als ich aus Anfield zurückkam. Er war ein wirklicher Gentleman, einer der letzten Spieler einer Generation, die aus einfachen Verhältnissen kamen und den Weg für die Fußball-Millionäre bereiteten“, schrieb Sephton. Danke, George.

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Sir Bobby Charlton (m.) und sein größter Erfolg mit Manchester United: Europapokalsieger der Landesmeister 1968. Foto: Imago

„Ich liebe dieses Land dafür, wie es seine Legenden behandelt“

Unter den vielen, bemerkenswerten Reaktionen auf den Tod von Sir Bobby Charlton fiel mir ein Statement von Pep Guardiola auf. Er hat als nicht-englischer Protagonist in der Premier League noch einmal eine andere Sichtweise auf die Fußball-Insel.

„Ich liebe dieses Land für viele Dinge“, sagte Guardiola, „vor allem aber dafür, wie es seine Legenden behandelt. Wenn wir nächste Woche in Old Trafford spielen, werden wir ihm die gebührende Ehre erweisen.“ Große Worte – und sie kommen vom Trainer des Stadt- und Erzrivalen von Manchester United, den „Sky Blues“.

Pep hat Recht. Wenn England trauert, dann hält das hektische Fußball-Geschäft den Atem an. Dann weinen gestandene Männer im kalten Herbstregen bittere Tränen. Rain and Tears.

Ich habe es selbst miterlebt. Am 23. Oktober 2004 besuchte ich für Football’s home – Geschichten vom englischen Fußball das Premier-League-Spiel Tottenham Hotspur gegen Bolton Wanderers an der altehrwürdigen White Hart Lane. Und kam mit einer Geschichte zurück, die nicht eingeplant war, die aber absolut unter die Haut ging.

An diesem Samstag trug Tottenham Trauer. Die Vereinsflagge auf dem Dach der Haupttribüne an der High Road (West Stand) flatterte auf Halbmast. Stunden vor dem Heimspiel war Tottenhams Trainer-Legende Bill Nicholson im Alter von 85 Jahren nach langer, schwerer Krankheit verstorben.

Die Fans trauerten auf den Tribünen und unten, im Londoner Regen standen die „Spurs“-Legenden um Pat Jennings, Martin Chivers oder Paul Gascoigne auf dem Rasen Spalier. Nicht nur mit einer Träne im Knopfloch.

Tottenham holte unter Nicholsons Regie acht Titel, darunter zwei Europacup-Trophäen. Die „Spurs“ von Bill Nicholson waren 1963 als Europacupsieger der Pokalsieger nach einem magischen 5:1 gegen Atlético Madrid in Rotterdam das erste Team, das einen internationalen Titel mit nach England brachte.

Es ist diese Eigenart der Briten, errungenen Erfolgen auch posthum einen Riesen-Respekt zu zollen. Eine einzigartige Helden-Verehrung. „Wir haben sie alle verloren“, schrieb Neil Curtis damals in der Sun, „Nicholson, Ramsey, Shankly, Busby und Clough. Eine Galerie der ganz Großen. Ihr Vermächtnis lebt weiter, aber ihre Erfolge werden nicht wiederkommen.“

Nun ja. Liverpool, Manchester United oder Tottenham sowie England im Jahr 2021 griffen auch mit anderen Trainern nach großen Titeln.

Der vorletzte Weltmeister

Aber mit dem abberufenen Sir Bobby Charlton hat der Fußballgott die WM-Helden von Wembley 1966 auf den letzten „Löwen“ aus der Startelf dezimiert: Sir Geoff Hurst, damals West Ham United.

Den dreifachen Torschützen aus dem Finale gegen Deutschland habe ich 2016 in Hamburg einmal simultan übersetzt. „Ein großartiger Kollege und Freund“, rühmte Hurst seinen Weltmeister-Teamkameraden, „den das ganze Land über den Sport hinaus schmerzlich vermissen wird.“

Mit Charlton ging der vorletzte aus der ersten Elf von Weltmeister-Trainer Sir Alf Ramsey. Im Finale nicht eingesetzt wurden der am 10. April 1942 geborene Ian Callaghan vom FC Liverpool, Terry Paine, Jahrgang 1939, vom FC Southampton und der 2023 bereits 87 Jahre alte George Eastham vom FC Arsenal.

Als „Meister, Europacupsieger, Weltmeister und Gentleman, Legende“ preist Englands Thronfolger Prinz William Sir Bobby Charlton.

Gentleman. Genau.

„Hey, Mister Gentleman, old-fashioned guy“, sang die große Helen Schneider im Oktober 1998, vor genau 25 Jahren zum Abschied für den legendären TV-Kommissar „Stephan Derrick“, Horst Tappert († 2008). Dieser Titel würde auch auf Sir Bobby Charlton passen.

„Wir trafen uns… auf vielen Wegen“. Ja. Nach Sir Stanley Matthews (1956) erhielt Bobby Charlton im WM-Jahr 1966 als zweiter englischer Spieler die Auszeichnung „Europas Fußballer des Jahres“.

Von 1970 bis 2015 war Charlton mit 49 Toren Rekordschütze der englischen Nationalmannschaft.

Für Manchester United hielt er den Tor-Rekord über 47 Jahre und bis zum 21. Januar 2017, ehe ihn – wie auch bei den „Three Lions“, Wayne Rooney („Over the Moon, we’ve got the Roon!“) mit seinem 253. Treffer für die „Red Devils“ ablöste.

Am 29. Mai 1968 wurde er zudem im Londoner Wembley-Stadion zum ersten Kapitän einer englischen Vereinsmannschaft, der den Europapokal der Landesmeister in Empfang nehmen durfte – 4:1 nach Verlängerung gegen Benfica Lissabon mit zwei Charlton-Treffern, einem von Brian Kidd und einem vom nicht minder von Legenden umrankten „El Beatle“, dem Nordiren George Best († 2005).

Manchester United hat später und schon zu seinen Lebzeiten die Südtribüne nach Sir Bobby Charlton benannt. Eine Bronzestatue von ihm steht vor dem „Theater der Träume“. Mehr Respekt geht nicht.

Geoff Hurst, Gary Lineker, David Beckham, Kevin Keegan, der King vom HSV, Harry Kane, den ich kürzlich in München traf, oder mein Freund Tony Adams sind großartige Botschafter des englischen Fußballs.

Aber Sir Bobby Charlton steht für mich über allem. Weil er das Schicksal besiegt hat. Beim „Munich Air Desaster“ am 6. Februar 1958, dem tragischen Flugzeugunglück von Manchester United in München, als die Maschine mit den „Busby Babes“, jener hoch ambitionierten, mit Talenten gespickten United-Mannschaft, im Schneematsch über die Landebahn rutschte, wurde er samt Sitz auf das Rollfeld geschleudert – und überlebte.

Um ihn baute der charismatische Trainer Sir Matt Busby eine neue Mannschaft auf – und holte 1968 Europas Fußball-Krone.

„Der Moment, in Wembley den Europapokal erhalten zu dürfen“, sagte Charlton später, „war für mich noch emotionaler als der Gewinn der Weltmeisterschaft.“ Bei einer Fußballreise Manchester United und einer Tour durch das Old Trafford werden Sie die zeitlose Aura der „Busby Babes“ spüren. Ganz sicher.

Von Sir Bobby Charlton können alle in der Fußball-Community lernen, dass Bescheidenheit, Höflichkeit, Geduld und Großzügigkeit zeitlose Tugenden für einen Profi sind. „Sir Bobby war ein Held für Millionen, nicht nur in Manchester oder im vereinigten Königreich“, so die Mitteilung von Manchester United zu seinem Ableben, „sondern überall auf der Welt, wo Fußball gespielt wird.“

Der Autor

Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und SPORT BILD sowie seit 1. April 2021 als leitender Redakteur bei Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.


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