Premier League Offside – Folge 15:

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 28.04.2021

Veröffentlicht in Premier League Offside

Halbe oder ganze Wahrheit? Nicht nur Fans kippten die Super League

Die Super League stellte den Fußball in England und die Verantwortlichen der Premier League auf die härteste Zerreißprobe seit Jahren. Keine Übernahme-Schlacht um einen der großen Klubs hat einen derartigen Widerstand ausgelöst wie die voreilige Gründung einer neuen Fußball-Eliteliga. Und doch ist nicht wirklich Ruhe auf der Fußball-Insel eingekehrt.

Am Morgen des 21. April 2021 erhielt ich um kurz nach 9 Uhr eine Video-Botschaft von John W. Henry. Der 71-jährige, US-amerikanische Eigentümer des FC Liverpool wandte sich in dem knapp zweieinhalb Minuten langen Clip mit trauriger Miene an Fans und Mitglieder des LFC.

„Ich möchte mich bei allen Fans des FC Liverpool für die Spaltung entschuldigen, die wir in den letzten 48 Stunden verursacht haben. Dieses Projekt war unmöglich ohne die Unterstützung der Fans“, erklärte sich Henry zur „European Super League“. Der FC Liverpool sowie fünf weitere Premier-League-Klubs, namentlich die Londoner Vereine FC Arsenal, FC Chelsea und Tottenham Hotspur sowie die beiden Manchester-Klubs United und City, gehörten zu den zwölf Klubs, die der UEFA mit einer eigenen Liga den Stecker ziehen wollten. Dazu kamen „die üblichen Verdächtigen“, wenn es ums Gelddrucken geht. Juventus Turin und die beiden Mailänder Klubs AC und Inter, letztere übrigens seit Jahren in den Händen chinesischer Investoren. Dazu Real und Atlético Madrid sowie der FC Barcelona aus Spanien.

Der Plan der „12 Fußball-Verräter“ (SPORT BILD): Eine „Super League“ mit 20 Klubs, davon 15 Gründungsmitglieder (drei Teilnehmer waren anfangs noch offen bzw. noch nicht „eingeladen“), sollten sich jedes Jahr auf Basis der Vorsaison neu duellieren. In zwei Gruppen mit je zehn Teilnehmern und dem Weiterkommen der ersten Drei ins Viertelfinale. Die Vierten und Fünften hätten in Playoffs die übrigen Viertelfinalisten ermittelt. Alles unter der Woche und zur besten Sendezeit. Atemlose Spannung… Super-League-Spiele waren u. a. in Dubai, New York und Schanghai geplant. Für ein hübsches Sümmchen von 3,5 Milliarden Euro Startkapital, welche die US-amerikanische Bank JP Morgan über die 15 Erst-Teilnehmer ausschütten wollte.

Im Prinzip also die Fortsetzung der Champions League mit anderen Mitteln. Beziehungsweise mit dem gleichen Lockmittel. Es geht wie immer ausschließlich ums Geld. In der immer noch nicht absehbaren Corona-Pandemie haben insbesondere die treibenden Kräfte aus Spanien, Real und „Barca“, hohe Verluste eingefahren. Die brauchen Geld.

Die „Liga der Gierigen“ gegen den Rest der Welt, gegen die eigenen Fans. Das passte in dieser verrückten Woche wunderbar ins Bild des linksliberalen Zeitgeistes. Ehrlich gesagt habe ich auch keine anderen Kommentare gelesen! „Es ist erstaunlich, wie groß die Aufregung ist, wenn’s ums Geld geht“, wunderte sich Leeds-Stürmer Patrick Bamford. „Es ist eine Schande, dass bei Themen wie Rassismus nichts passiert.“ Das ist, sorry, nur die halbe Wahrheit.

Fanprotest zur Super League vor dem Old Trafford, Manchester am 19.04.2021

Gegründet von den Armen - gestohlen von den Reichen | Klare Aussage von den Fußballfans

Grabinschriften und unmissverständliche Banner

Dass die Spieler vor jeder Partie zum BLM-Kniefall Haltung zeigen, hatte „Big Bam“ wohl in der Aufregung vergessen… Natürlich waren die Anhänger in England, Spanien und Italien – nur aus diesen drei Ländern kamen die geächteten Bösewichte – not amused. Untertrieben gesagt! Die Reaktionen der Fans in England waren verheerend. Führende Liverpool-Fanverbände kündigten unmittelbar nach dem Super-League-Beschluss an, ihre Banner von der weltberühmten Tribüne „The Kop“ zu entfernen, so ihr Verein weiter Teil dieses Konstrukts bleiben würde. Selbst eine Todesanzeige zum FC Liverpool war an der Außenseite des Stadions in Anfield befestigt worden. Der Arsenal Supporters Trust sah „den Tod des FC Arsenal als Sportverein“. It’s the end of the World as we know it. Dieser berühmte Songtitel von R. E. M. bildet praktisch schon seit Beginn der Corona-Krise die Begleitmusik. Nun aber herrschte eine nahezu apokalyptische Stimmung. Beinahe stündlich wuchs der Proteststurm, so hatte man jedenfalls den Eindruck. Bei Manchester United flammte der alte Zwist mit der US-amerikanischen Eigentümerfamilie Glazer neu auf. 2005 hatte die Übernahme des Vereins durch den US-Milliardär Malcolm Glazer zu bildersturmartigen Szenen in Old Trafford geführt. Fans verbrannten vor laufender TV-Kamera ihre Dauerkarten, sogar ein eigener Verein, United FC of Manchester, spaltete sich (erfolgreich) ab. Manchester City, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten fürstlich mit Geldern ausgestattet, musste eine Palastrevolte moderieren. „Shame on you“, schämt euch, so quittierten die Fans mit einem Plakat die Pläne des designierten englischen Meisters für die Super League. „Vielleicht wurde die Endzeit-Stimmung am besten durch ein handgemaltes Banner zusammengefasst, das wie eine Grabinschrift an einem Gitter des Etihad Stadiums in Manchester hing: MCFC – R. I. P. – 1894 – 2021“, kommentierte das Kicker-Sportmagazin am 22. April 2021, „für viele Fans war ihr Verein knapp zwei Tage lang gestorben.“

Fanprotest zur Super League vor dem Old Trafford, Manchester am 19.04.2021

Fanprotest zur Super League vor dem Old Trafford, Manchester am 19.04.2021

Das volksnahe Liverpool hat ein Glaubwürdigkeitsproblem

Die Fans also als „Retter“ des englischen Fußballs, wie wir ihn kennen und lieben. Vielleicht. Aber nicht nur. Die ablehnende Haltung von Protagonisten wie Jürgen Klopp (53) brachte die Verantwortlichen zumindest in der Premier League zur Vernunft. „Die UEFA hat uns nicht gefragt, die Erfinder der Super League haben uns nicht gefragt, niemand hat uns gefragt, es heißt immer nur, wir sollen mehr Spiele machen, wir sollen immer nur liefern“, kritisierte Klopp nach dem müden 1:1 des FC Liverpool am 25. April 2021 gegen Newcastle United. So wie Liverpools Fans 2016 eine Erhöhung der Ticketpreise verhindert und vor gut einem Jahrzehnt die ungeliebten US-amerikanischen Eigentümer George Gillett und Tom Hicks vom Kop gejagt hatten, positionierten sie sich nun klar gegen die Super League und gegen die Eigentümer-Gruppe FSG.

„FSG out“, war die eindeutige Botschaft. Liverpool hat durch die leichtfertige Teilnahme an der Europa Super League viel Kredit verspielt – und sich am Ende einer restlos enttäuschenden Saison ein Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen. Das lag an der offensichtlich mangelhaften Kommunikation im Verein und an dem scheinbar nicht oder kaum existenten Dialog mit den Fans! Bei Tottenham Hotspur ging man ebenfalls in die Offensive. Die Anhänger der „Spurs“ forderten die Installierung eines Gremiums, in dem auch Fanvertreter sitzen sollten. Zudem sprach man sich beim Supporters Trust der Nord-Londoner für ein Eingreifen der Regierung aus. Tottenham-Fans sollten mit „goldenen Aktien“ verhindern, dass solche Beschlüsse künftig ohne die Einwilligung der Anhänger getroffen werden könnten.

Kippte am Ende Boris Johnson die Super League?

Das ist aber nicht alles. „Die Darstellung der Vereine, wonach der Unmut der Spieler und Anhänger die Trendumkehr eingeleitet hat, ist bestenfalls die halbe Wahrheit“, so die Wiener Zeitung Die Presse am 23. April 2021, also zwei Tage nach dem, sagen wir, rührenden Video von John W. Henry. Die entscheidende Rolle als „Ausputzer“ kommt der Agentur Reuters zufolge dem britischen Premierminister Boris Johnson zu. Seine Drohkulisse, die nach dem Brexit notwendigen Arbeitsbescheinigungen für ausländische Spieler zu genehmigen und die Drohung, an Spieltagen keine Polizeikräfte zu stellen, schien die Klubverantwortlichen aus London, Liverpool und Manchester noch mehr zu schrecken. Wobei ein Ausscheren der „Big Six“ ganz nebenbei nicht nur die Champions League, sondern auch die Premier League beinahe ruinös abgewertet hätte… „Die Super League ist auch als Angriff auf den Brexit gewertet worden“, stellte Juventus-Boss Andrea Agnelli (45) ernüchtert fest. UEFA-Boss Aleksander Ceferin, der von den sich überschlagenden Ereignissen auf der Autobahn zwischen Ljubljana und Nyon überrollt wurde, triumphierte. „Nach den Reaktionen von Boris Johnson sowie der Europäischen Kommission war mir klar, dass dies schnell zu Ende sein würde.“

Der Spuk ist vorbei. Vorerst. Denn die für 2024 geplante Reform der UEFA Champions League dürfte die nächsten Fan-Aufstände bringen. It’s the end of the World as we know it. And I feel fine!

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Diese zwölf Klubs wollten die Europa Super League /Fotorechte: Lizenzfreie Stockfoto-Nummer: 1958776027

Der Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit 2018 als leitender Redakteur bei Ligalive.net. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.