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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 20.10.2023

Veröffentlicht in Premier League Offside

„Some might say… Manchester City – but I say Bert Trautmann“

100. Geburtstag einer Fußball-Legende. Fußballreisen Manchester City wären nicht komplett ohne die vielen Episoden und Legenden, die sich um dieses zeitlose Torhüter-Idol der „Citizens“ ranken. In der 50. Folge der „Premier League Offside“ bei die-fussballreise.de möchte ich als Autor Bernd „Bert“ Trautmann würdigen, der am 22. Oktober 2023 runde 100 Jahre alt geworden wäre.

Sicher. Ilkay Gündogan ist fünf englischen Meisterschaften, die er allesamt mit Manchester City feiern durfte, der deutsche König der Premier League. „Gunbelievable“ (The Sun) setzte Maßstäbe. Aber an die Legende und die Wirkkraft des Bernhard Carl, genannt Bernd Trautmann (1923 – 2013), kommt der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft – bei allem Respekt vor seiner Leistung in Manchester – nicht heran.

Warum? Weil man in England kaum einem anderen deutschen Spieler mehr Respekt entgegen bringt als dem 2013 mit fast 90 Jahren verstorbene Klasse-Torhüter aus Bremen.

Ich bin Bernd Trautmann nie persönlich begegnet, aber ich habe in mehr als 20 Jahren mit der Premier League und mit Fußball-England viele Gespräche mit Fans von Manchester City geführt, die alle in höchsten Tönen von ihm geschwärmt haben. Und das, obwohl sie ihn nie selbst spielen sahen.

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Wembley, 5. Mai 1956: Prinz Philip, Duke of Edinburgh, begrüßt vor dem FA Cup-Finale die Spieler von Manchester City um Bernd Trautmann (3. v. r.). Foto: Imago / Colorsport

„Kein Krieg in der Kabine“

„Er war einer von uns“, habe ich dabei immer wieder gehört. Das kann man für die Zeit, wenige Jahre nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs, in der Trautmann in England spielte, gar nicht hoch genug einschätzen.

„Bert“ Trautmann, wie ihn die Engländer nannten, sagte mit viel Respekt über die City-Anhänger: „Ich hatte das große Glück, vor den großartigsten Fans der Welt spielen zu dürfen.“
Dass der in einem Kriegsgefangenenlager in Ashton-in-Makerfield entdeckte Torhüter überhaupt spielen durfte, verdankte er zwei Männern. City-Kapitän Eric Westwood soll bei Trautmanns Ankunft bei den „Sky Blues“ als erster versöhnliche Töne gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner angeschlagen haben. „Es gibt keinen Krieg in dieser Kabine“, waren seine Worte. Die einzig richtige Entscheidung.

Der zweite war der jüdische Wissenschaftler und Rabbiner Alexander Altmann. Er trat den Fan-Protesten gegen den „Nazi im Tor“, wie Trautmann von den aufgebrachten Gegnern des Deutschen genannt wurde, mit Vernunft entgegen, rief öffentlich zur Vergebung und zur Versöhnung auf. „Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, dann kann ich keinerlei Nachteil erkennen“, schrieb Altmann in einem offenen Brief an die Fans von Manchester City, die sogar ihre Dauerkarten zurückgegeben hatten, „jeder muss nach seinen persönlichen Verdiensten beurteilt werden.“

Und das in den schwierigen ersten Nachkriegsjahren! Dass ein deutscher Kriegsgefangener – Trautmann wurde als Fallschirmjäger kurz vor Kriegsende von britischen Soldaten aufgegriffen – im Jahr 1949 Tor von Manchester City stand, das war für viele ein Affront.

Gegen jede Chance und gegen die Working Class

Doch der Torhüter, der 1948 seine Rückkehr nach Deutschland ablehnte, flog mit seinen Paraden in die Herzen der englischen Fußballanhänger. „Traut, the Kraut“ verdrängte in Manchester den bei den Fans beliebten englischen Nationaltorhüter Frank Swift.

„Er erwies sich als bedeutende Kraft, die damals unterschätzt wurde“, sagt England-Korrespondent Keir Radnedge zu Trautmanns 100. Geburtstag dem Kicker-Sportmagazin, „um den Wandel in der Haltung der englischen Arbeiterklasse – die die Stadiontribünen bevölkerte – gegenüber den Beziehungen zwischen den Ländern in der Nachkriegswelt zu erleichtern.

Bernd Trautmann steht für einen der sagenumwobenen Erfolge im FA Cup 1956. Trotz Halswirbelbruch spielte er weiter, sicherte er Manchester City in Wembley einen 3:1-Sieg gegen Birmingham City – und überlebte diese Verletzung wie durch ein Wunder.

„Fünf Wirbel waren raus gesprungen“, berichtete er später, „erst nach vier Tagen wurde festgestellt, dass ein Wirbel durchgebrochen war.“ Trautmann musste monatelang und in einem Stützkorsett pausieren.

„Der erste deutsche Spieler in einem FA Cup-Finale zu sein, war für mich etwas absolut Fantastisches“, sagte Trautmann einmal über seine größte Sternstunde, über das Spiel, das ihn zur Legende machte.

Vom „geächteten Kraut“ zur Sportlegende

„Seine Mannschaftskameraden Dave Ewing und Bill Leivers stützen ihn auf dem Weg zur Siegerehrung“, schreibt die BBC-Journalistin Catrine Clay 2013 in ihrem bemerkenswerten Buch Trautmanns Weg. In dieser Biografie erzählt sie, wie der „geächtete Kraut zur britischen Sportlegende wird“.

Das ist keine Übertreibung. Mit 545 Pflichtspielen für die „Citizens“, davon 508 in der englischen Liga, ist Trautmann bis heute der deutsche England-Profi mit den meisten Einsätzen. Trautmann war als erster Deutscher „Fußballer des Jahres“ (1956) in England. 2002 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Bernd „Bert“ Trautmann – 2004 von Königin Elizabeth II. mit dem Order of the British Empire (OBE) für seine Verdienste um die deutsch-englische Verständigung (und Aussöhnung) ausgezeichnet, blieb trotz dieser immensen Popularität immer herrlich bescheiden.

So bewegte er sich kurz vor seinem 80. Geburtstag im Oktober 2003 praktisch inkognito in Manchester, um den deutschen Nationalspieler Michael „Tanne“ Tarnat bei den „Citizens“ zu begrüßen. „Ich habe bewusst niemanden informiert“, sagte der Jubilar damals dazu, „ich bleibe lieber im Hintergrund.“ Herrlich.

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Bernd Trautmann, mit der erste deutsche England-Spieler, begrüßt Thomas Häßler (l.) und Andreas Möller (r.) bei der EURO 1996 im Hotel Motram Hall in Manchester. Foto: Imago

Torwart-Legende ohne Länderspiel

Allein: Zu Länderspiel-Ehren kam der beim Karriere-Ende 1964 von 47.000 Fans an der Maine Road gefeierte Torwart-Held nie. Einzig als Dolmetscher und „landeskundiger Helfer“ wurde er von Bundestrainer Sepp Herberger 1954 beim ersten Länderspiel in England in Dezember 1954 eingesetzt.

In der Funktion des DFB-Attaché kam er 1966 doch noch zu „seinem“ Einsatz für die deutsche Nationalmannschaft. Bei der Weltmeisterschaft in England gehörte Trautmann zur DFB-Delegation um Bundestrainer Helmut Schön, Kapitän Uwe Seeler und den jungen Franz Beckenbauer.

Trautmanns Weg nahmen nach ihm viele deutsche Spieler. Gündogan ist der deutsche Rekordmeister der Premier League.

Uwe „The Bomber“ Rösler hat bei Manchester City bis heute Helden-Status.

Jürgen Klinsmann gelang es bei Tottenham Hotspur, 1995 als erstem Deutschen der Premier-League-Ära „Fußballer des Jahres“ in England zu werden.

Der von Roland Reng herrlich literarisierte „Traumhüter“ Lars Leese wurde 1997 beim FC Barnsley über Nacht zum Kult-Keeper.

„Mad Jens“ Lehmann war 2004 als erster deutscher Torhüter in Diensten des FC Arsenal Premier-League-Meister.

Robert Huth, der nie ein Bundesliga-Spiel bestritt, schrieb 2016 mit Leicester City das größte Meister-Märchen der englischen Eliteliga.

Doch der Mythos Bernd Trautmann überstrahlt alle.

Der Autor

Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und SPORT BILD sowie seit 1. April 2021 als leitender Redakteur bei Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.


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