Premier League Offside: Folge 33

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Autor: Carsten Germann
Veröffentlicht: 10.08.2022

Veröffentlicht in Premier League Offside

AFC Bournemouth – Liebesgrüße von der Südküste

Eine Fußballreise nach England führt immer wieder auch an die Südküste. Der FC Southampton, Brighton & Hove Albion und Aufsteiger AFC Bournemouth bilden das fußballerische und touristische Kontrastprogramm zur Fußball-Hauptstadt London mit ihren sieben Vereinen und zum Klub-Cluster in Mittel- und Nordwestengland.

Es war vermutlich die perfekte Minute. Der beste Augenblick, um „Yes“ zu sagen. Luke Fletcher, ein lebenslanger Fan des AFC Bournemouth, führte seine Freundin Katie Warren am 3. Mai 2022 nach dem gegen Nottingham Forest (1:0) perfekt gemachten Aufstieg in die Premier League zum Mittelkreis, ging vor ihr auf die Knie und fragte sie, ob sie ihn heiraten will. „Sie hat Ja gesagt, sie war sehr emotional“, wird Luke in der Zeitung Bournemouth Echo zitiert.

Tja, wir doch auch! Eine schönere Fußball-Liebesgeschichte haben wir seit Iker Casillas und Reporterin Sara Carbonero im Anschluss an das Mixed-Zone-Interview mit dem Kuss vor laufender Kamera nach dem WM-Titelgewinn von Spanien am 11. Juli 2010 gegen die Holländer nicht mehr gesehen. Das aber nur nebenbei.

 

Echte Fan-Liebe

„Ich habe gehofft, dass es das richtige Resultat wird“, erzählte Luke Fletcher weiter, „es hing alles von Bournemouth ab und davon, ob es einen Platzsturm geben wird und es hat alles perfekt gepasst.“ Mit dieser Love-Story aus dem Stadion Dean Court toppte das Fußball-Fan-Paar der „Cherries“ fast sogar die Rückkehr von Nottingham Forest nach 23 Jahren Premier-League-Abstinenz. So kann man mal zurückkehren.

Bournemouth spielte zuletzt 2019/2020 in der Premier League, musste aber mit Platz 18 und 22 Niederlagen – Vereins-Negativrekord – die Segel streichen. Der direkte Wiederaufstieg unter Jonathan Woodgate (42), einem der jungen Wilden, die mit Leeds United 2001 ins Champions-League-Halbfinale stürmten, misslang 2021. Jetzt führte der smarte Ex-Tottenham-Profi Scott Parker (41) Bournemouth wieder nach oben.

Solanke und Bournemouth: Liebe auf den ersten Blick

Dass nicht nur die Fans, sondern auch die Experten ihr Herz für den Klub aus dem King’s Park im Vorort Boscombe entdecken, dafür könnte einer sorgen, der bei Jürgen Klopp glatt durchfiel.

Es ist der englische Nationalspieler Dominic Solanke (24), dem in 45 Spielen in der Championship 2021/2022 insgesamt 29 Tore glückten. Damit war er zweitbester Torjäger der zweiten englischen Liga hinter dem Serben Aleksandar Mitrovic vom FC Fulham. Er legte mit 43 Treffern einen Zweitliga-Rekord in England auf. Solanke kam mit 45 Spielen auch auf die meisten Einsätze und ist sicherlich der Player to Watch bei den „Cherrys“. Mit 21,2 Mio. Euro Ablöse, die der Klub von der Südküste im Januar 2019 für ihn hinlegte, wurde der Engländer hinter dem kolumbianischen Mittelfeldspieler Jefferson Lerma (28 Mio. Euro, UD Levante) und Nathan Aké vom FC Chelsea, den man für 22 Mio. Euro holte, zum drittteuersten Neuzugang der Klub-Historie.

Jefferson Lerma AFC Bournemouth

Bournemouth, England, 6. August 2022. Ollie Watkins von Aston Villa und Jefferson Lerma von Bournemouth im Zweikampf um den Ball während des Premier League-Spiels im Vitality Stadium. Foto: Paul Terry / Sportimage

Beim FC Liverpool konnte er sich zuvor nicht durchsetzen: Ein Pflichtspieltor in 27 Einsätzen! Das Klima an der Südküste schien Solanke zu beflügeln, denn in 138 Spielen hat er für die „Cherries“ Wettbewerb übergreifend schon 49-mal geknipst. „Ich habe nicht das getan, was ich tun wollte, als ich das letzte Mal in der Premier League war“, sagte Solanke nach dem Aufstieg, „aber ich bin jetzt ein anderer Spieler, mental und körperlich. In den letzten beiden Spielzeiten fast in jedem Spiel auf dem Platz zu stehen, hat geholfen.“
Solanke… ähm so lange Bournemouth auf seine Dienste zurückgreifen kann, ist auch der Liga-Verbleib für den AFC drin.

Bournemouths Top-Torjäger Dominic Solanke

Bournemouths Top-Torjäger Dominic Solanke stand 2018 mit dem FC Liverpool in Kiew im Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Foto: Shutterstock / ID 1105386854.

Erlebnis Dean Court

Trotz des Torjägers: Bournemouth war nie ein Verein der großen Namen. Was das Fußballerlebnis an der Südküste ausmacht, ist die Atmosphäre in der Küstenstadt mit der malerischen Bournemouth Pier. Dazu kommt die unschlagbare Nähe der Zuschauer zum Spielfeld im kleinen, 11.464 Fans Platz bietenden Stadion Dean Court. 2001 und 2013 wurde die Arena in nur wenigen Monaten komplett umgebaut und modernisiert, verfügt über vier Ein-Rang-Tribünen, die mit ihrer Akustik jeden Fußball-Traditionalisten erfreuen. Für Gästefans sind 1.500 Plätze auf der East Stand vorgesehen.

Das Stadion ist bei Anreise mit der Bahn, etwa ab Waterloo Station in London – ich selbst habe mich 2009 einmal für die Reihe „Man hat ja sonst nichts zu tun“ in einen Zug von London ins benachbarte Portsmouth gesetzt und war begeistert – vom Bahnhof Pokesdown über einen gut 30-minütigen Fußmarsch zu erreichen. Ein angesagtes Pub ist das Queens Park (482 Holdenhurst Road, Bournemouth, BH8 9AR).

Das Vitality Stadium in Bournemouth aus der Luft

Das Vitality Stadium in Bournemouth aus der Luft: In der Ferne sieht man den Ärmelkanal und die Isle of Wight. Foto: Shutterstock / ID 2170386569 

Stadion-Name als Running Gag

Aktuell trägt der Dean Court den Sponsoren-Namen Vitality Stadium – und das wäre schon fast eine eigene Story wert. Denn die Namenswechsel seit 2001 sind ein echter südenglischer Strandtreppenwitz. Bis 2010 trug die Arena den Namen Fitness First Stadium, ehe im Februar 2010 neu beschriftet wurde. Dieses Mal erhielt Classic Eyes nach einer Verlosung (!) die Namencarsrechte und fortan trug der Dean Court nicht nur den Namen, sondern der Sponsor kümmerte sich auch um die optometrische Versorgung der Spieler und der Fans. Vor allem die Sonnenbrillen sollen ein Hit gewesen sein…

Im Juli 2011 war es dann mal wieder Zeit für einen Wechsel. Die Seward Motor Company übernahm, aber der Name Seward Stadium war nach nur einer Saison schon wieder out. Nun wurde im Goldsands Stadium gespielt. Seit dem ersten Premier-League-Aufstieg des AFC Bournemouth im Jahr 2015 heißt das Ding nun Vitality Stadium.
Das Video vom Platzsturm gegen Nottingham Forest nach der geglückten Premier-League-Rückkehr gibt ein gutes Stimmungsbild ab. Leider ist die Romanze in Schwarz-Rot mit Luke und Katie darauf nicht zu sehen, aber was soll‘s?

Wie steht es eigentlich mit Rivalitäten im wilden Süden? Da haben wir Bournemouth und den FC Pourtsmouth. Die beiden Klubs rivalisieren miteinander, dennoch nennen die Fans des AFC laut der umfangreichen Studie The League of Love and Hate (August 2019) den FC Southampton („The Saints“) als ihren härtesten Rivalen. Und das mit klaren 79 Prozent – vor Portsmouth und Brighton & Hove Albion.

Liebe und Hass – an der Südküste kommt so einiges zusammen.

 

Carsten GermannDer Autor: Carsten Germann berichtet seit 2002 aus erster Hand über den englischen Fußball, u. a. für DIE WELT, BILD am SONNTAG und seit April 2021 auch als leitender Redakteur beim Portal Fussballdaten.de. Zudem gab er mit den Büchern Football’s home (2007) und Absolute Dynamite! (2010) zwei Sammelbände mit seinen Fußball-Reiseerlebnissen aus Großbritannien heraus. Für DIE FUSSBALLREISE schreibt er regelmäßig über den Insel-Kick.